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Zusammenfassung: Nach Auffassung der Gerichte in den vorausgegangenen Eilverfahren wäre die Fuckparade 2001 nur mit Musikwagen keine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen. Ein Kritikpunkt war, daß die Teilnehmenden nur Musik konsumieren würden, statt selbst mitzuwirken. Eine „innere Verbundenheit“ würde damit fehlen. Darum riefen wir am 12. Juli dazu auf, Radios mitzubringen. Damit würde zwar Musik gespielt, aber die Teilnehmenden würden deutlich aktiv werden und die geforderte innere Verbundenheit schaffen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat das anders gesehen und das Radioverbot der Versammlungsbehörde mit diesem Eilbeschluss bestätigt. Der Beschluss wurde in einem von uns eingeleiteten Hauptverfahren drei Jahre später korrigiert.

VG 1 A 231.01

Verwaltungsgericht Berlin
Beschluss

In der Verwaltungsstreitsache des Herrn Martin Kliehm, Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin Inka Bock, […] Frankfurt am Main

gegen

das Land Berlin, vertreten durch den Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, Antragsgegner,

hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin durch

  • den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Markworth,
  • den Richter am Verwaltungsgericht Groscurth sowie
  • die Richterin am Verwaltungsgericht Sanchez de la Cerda

am 13. Juli 2001 beschlossen:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000,— DM festgesetzt.

Gründe

Nachdem der Antragsteller mit seinem Begehren, die für den 14. Juli 2001 geplante sog.Fuckparade“ als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes abzuhalten, nunmehr auch höchstrichterlich gescheitert ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2001, 1 BvQ 28/01), meldete er beim Antragsgegner sogleich für den selben Termin eine Versammlung zum Thema „Für Demonstrationsfreiheit, für eine freie Wahl der Mittel einer Demonstration“ in Berlin-Mitte an. Nach der Anmeldung soll eine „herkömmliche Demonstration mit Transparenten, Megafonen, Sprechchören und Redebeiträgen“ abgehalten werden; Musikwagen sind ausdrücklich nicht vorgesehen. Der Antragsteller ruft indes alle Teilnehmer in einem im Internet veröffentlichten Aufruf dazu auf, „zivilen Ungehorsam“ zu zeigen. Dazu sollen alle Teilnehmer Musikinstrumente, Trommeln und Ghettoblaster mitbringen. Weiter heißt es in dem Aufruf wörtlich: „Durch das Mitbringen der Radios zeigen wir auch die immer wieder geforderte innere Verbundenheit: Radio Fritz hat sich solidarisch mit den Veranstaltern gezeigt und stellt uns von 14-20 Uhr eine Frequenz und einen Übertragungswagen zur Verfügung, über den sich unsere DJs, MCs und RednerInnen Gehör verschaffen können.

Mit Bescheid vom heutigen Tage hat der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung bestätigt und zugleich mit der Auflage versehen, dass das Mitführen von elektronischen Musikabspielgeräten (wie z.B. Ghettoblaster, Radios, CD-Player o.ä.) und Musikinstrumenten untersagt werde. Zwischenzeitlich hat die Behörde klargestellt, dass hiervon rein mechanisch betriebene Instrumente ausgenommen seien. Zur Begründung hat sich die Behörde im Kern darauf berufen, dass anderenfalls über den „Umweg“ einer Radioübertragung die Durchführung der „Fuckparade“ in ihrer ursprünglichen Form ermöglicht würde.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Auflage der Verfügung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 13. Juli 2001 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.

Angesichts der der Kammer zur Verfügung stehenden knappen Zeit kann die Rechtmäßigkeit der allein in Rede stehenden Auflage nur äußerst summarisch geprüft werden. Danach überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorliegend das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, weil der angefochtene Bescheid unter Zugrundelegung dieses Maßstabs keinen ernstlichen rechtlichen Zweifeln unterliegt.

Die Auflage stützt sich auf § 15 Abs. 1 VersG, wonach eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden kann, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass die von dem Antragsteller geplante Veranstaltung, an deren Versammlungseigenschaft grundsätzlich kein Zweifel besteht, im Fall, dass den Teilnehmern das Mitführen der nunmehr nur noch verbotenen Gegenstände gestattet wäre, ein äußeres Erscheinungsbild erhielte, welches in der Öffentlichkeit mit der Abhaltung der „Fuckparade“ selbst gleichgesetzt würde.

Bei der „Fuckparade“ handelt es sich aber – wie das OVG Berlin in seinem vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeten Beschluss vom 6. Juli 2001 – OVG 1 S 11.01 – ausgeführt hat, nicht um eine Versammlung nach Art. 8 GG. Die unbeauflagte Versammlung erhielte somit ein Gepräge, welches nicht im Einklang mit diesen Entscheidungen stünde. Wie der dem Gericht vorliegende Internet-Aufruf eindeutig belegt, ruft der Antragsteller die voraussichtlichen Teilnehmer zur massenhaften Verwendung von tragbaren Radios auf, die während des Umzuges bewusst auf die Frequenz von Radio Fritz eingestellt werden sollen. Das Motto der dortigen Sondersendung „Fritz macht die Fuck Parade im Radio“ spricht in diesem Zusammenhang für sich. Hier sollen diejenigen „DJs“, die eigentlich Musik von den Wagen der „Fuckparade“ abspielen sollten, Gelegenheit für ihre Auftritte erhalten. Damit würde letztlich dieselbe Musik auf der Versammlung erklingen, die ohnehin dort zu hören sein sollte. Durch die mögliche massenhafte Verwendung von Radios ebenso wie von elektrisch verstärkten Musikinstrumenten stünde die Geräuschkulisse mit Technomusik im Vordergrund, die der ursprünglichen „Fuckparade“ kaum nachstünde. Damit bliebe es bei einem ganz überwiegend auf Unterhaltung, nicht aber auf Meinungskundgabe gerichtetem Ereignis, welches nicht dem Schutz des Versammlungsgrundrechts unterfällt, sondern den allgemeinen ordnungsbehördlichen Regelungen. Die danach erforderlichen Erlaubnisse liegen nicht vor.

Das besondere Vollziehungsinteresse ist aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides zu bejahen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung – steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Die Zulassung der Beschwerde ist innerhalb zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin zu stellen. Er muss den angefochtenen Beschluss bezeichnen. Ferner sind in dem Antrag die Gründe darzulegen, aus denen die Beschwerde zuzulassen ist.

Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Beschwerde. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte und Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einhundert Deutsche Mark übersteigt.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstr. 7, 10557 Berlin, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist spätestens innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

In dem Verfahren über die Streitwertbeschwerde bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.

Markworth, Groscurth, Sanchez de la Cerda