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Zusammenfassung: Nach Ansicht des Berliner Oberverwaltungsgerichts ist die geplante Fuckparade 2001 keine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes.

OVG 1 S 11.01
VG 1 A 166.01

Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss

In der Verwaltungsstreitsache Land Berlin, vertreten durch den

Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, Antragsgegner und Beschwerdeführer,

gegen

Martin Kliehm, Frankfurt, Antragsteller und Beschwerdegegner, – Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin Inka Bock, […], Frankfurt –

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch

  • den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Bitzer,
  • den Richter am Oberverwaltungsgericht Heintzenberg und
  • die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Michaelis-Merzbach

am 6. Juli 2001 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Juni 2001 geändert.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 14. Mai 2001 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8.000,— DM festgesetzt.

Gründe

Mit Bescheid vom 14. Mai 2001 teilte der Polizeipräsident in Berlin dem Antragsteller mit, dass die Anmeldung der von ihm geplanten „Fuckparade 2001“ nicht als Anmeldung einer Versammlung entgegen genommen und bestätigt werden könne, weil die in Rede stehende Veranstaltung keine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes sei. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen diesen Bescheid wiederhergestellt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. An der sofortigen Vollziehung des Bescheides besteht ein besonderes öffentliches Interesse, das die privaten Belange des Antragstellers überwiegt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bescheid vom 14. Mai 2001 bei summarischer Prüfung rechtmäßig.

Die vom Antragsteller für den 14. Juli 2001 geplante Veranstaltung gehört nicht mehr zu dem Begriff der Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts. Der Versammlungsbegriff ist zwar im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes grundrechtsfreundlich auszulegen und anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt Versammlungen und Aufzügen der besondere verfassungsrechtliche Schutz aber nur zu, wenn sie „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ sind (grundlegend: BVerfGE 69, 315 [343]). Denn Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sollen „das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage)“ schützen (BVerwGE 56, 63 [69]; 82, 34 [38 f.]). Voraussetzung ist daher eine auf diesen Zweck gerichtete Verbundenheit der Teilnehmer. Erforderlich ist eine Zweckverbundenheit, die auf gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung (Meinungsäußerung und Meinungsbildung) gerichtet ist. Demgemäß scheiden Volksfeste und andere Volksbelustigungen sowie die in § 17 VersG weiter genannten Veranstaltungen regelmäßig aus, weil dabei die gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung nachrangig ist.

Anders kann im Einzelfall nur dann zu entscheiden sein, wenn die Veranstaltung trotz ihres äußeren Erscheinungsbildes als Volksfest oder Vergnügungsveranstaltung durch eine kollektive Aussage geprägt ist. Zu einer solchen kollektiven Meinungskundgabe gehört aber mehr als die bloße Zurschaustellung eines Lebensgefühls, das lediglich durch bestimmte gemeinsam gehörte Musik und Tanz geäußert wird. Denn in diesen Fällen wird das Zusammentreffen der Teilnehmer durch nichts anderes als durch den Wunsch nach gemeinsamer Unterhaltung bestimmt. Solche durch andere Grundrechte (Art. 2 GG) geschützte Veranstaltungen fallen nicht mehr unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Versammlungsfreiheit gehört ebenso wie die Meinungsfreiheit zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens und ist für die freiheitliche und demokratische Staatsordnung konstituierend, gerade deshalb, weil sie als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe zu verstehen ist (vgl. BVerfGE 69, 315 [344 f.]). Aus dieser Funktion der Versammlungsfreiheit im demokratischen Gemeinwesen als Mittel zur gemeinsamen körperlichen Sichtbarmachung von Überzeugungen und Meinungen folgt der hohe Rang des Grundrechts, dem gegenüber Rechte anderer (z.B. von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) zurücktreten müssen. Dieser hohe Stellenwert des Versammlungsgrundrechts verbietet es zugleich, dessen Schutzumfang weiter auszudehnen, als der Zweck der Schutzgewährung es erfordert. Würde man auch die bloße Zurschaustellung eines durch Musik und Tanz ausgedrückten Lebensgefühls ausreichen lassen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge.

Nach diesen Grundsätzen kann die „Fuckparade 2001“ nicht als Versammlung angesehen werden, weil die Veranstaltung nach dem Gesamteindruck den Charakter einer rein unterhaltenden, öffentlichen Massenparty trägt, während das Element der Meinungskundgabe völlig in den Hintergrund tritt. Dies ergibt sich schon aus den äußeren Bedingungen: Der Antragsteller erwartet ca. 10.000 Teilnehmer, die auf den vorgesehenen Wegstrecken von ca. 40 bis 50 Aufzugswagen begleitet werden, von denen aus lautstark Techno-Musik gespielt werden soll. Dabei sollen zahlreiche Discjockeys aus aller Welt in verschiedenen Musikrichtungen wie Breakcore, Speedcore, Brutalcore, Hardcore, House, Techno Acid u.a. tätig werden. Das äußere Erscheinungsbild ist dementsprechend von tanzenden und sich fortbewegenden Anhängern unterschiedlicher Richtungen der Techno-Musik geprägt. Dies vermittelt den Eindruck einer großen Feier oder Tanzveranstaltung, bei der es dem Einzelnen im Wesentlichen darum geht, sich zu vergnügen oder seinem momentanen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Mit Musik und Tanz assoziiert der Außenstehende im Regelfall keine Meinungsäußerung, sondern schlicht und einfach Spaß und Unterhaltung für die Teilnehmer. Zwar sind Tanz, musikalische Darbietungen und Aktionen von Livekünstlern als Meinungsäußerungen durchaus denkbar. Dies gilt aber nur dann, wenn diese Handlungsformen gerade als Mittel zur Meinungsäußerung eingesetzt werden und die Meinungskundgabe im Verhältnis zu anderen Zwecken erkennbar im Vordergrund steht. Dies kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil für den Senat nicht erkennbar ist, dass das Spielen und Hören von Techno-Musik in ihren unterschiedlichen Richtungen und Tanz zu entsprechenden Klängen etwas anderes ausdrückt als die Begeisterung für diese Musik und ein allgemeines Lebensgefühl.

Auch die Entstehungsgeschichte der „Fuckparade“ unterstreicht den Unterhaltungscharakter dieser Veranstaltung. Im Jahre 1997 spalteten sich einige hundert Technofans von der seit 1989 durchgeführten „Love Parade“ ab, um – wie der Antragsteller selbst formuliert – Musikstile zu vertreten, „die nicht vom massenkonsumier- und vermarktbaren Mainstream diktiert“ werden. Es gehe um „ohne kommerzielle Interessen verfolgte Stile der elektronischen Musik und des Punkrocks“. Diese Musikstile seien zugleich „Ausdruck der Lebensart und des Lebensgefühls dieser Subkulturen“, „keine bloße Freizeitbeschäftigung, sondern Geisteshaltungen“. Aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass die „Fuckparade“ insofern als Gegenveranstaltung zur „Love Parade“ gedacht war, als alternative Musikrichtungen und ein alternatives, nämlich nicht kommerziell ausgerichtetes Konzept vorgestellt werden sollten. Da die „Love Parade“ keine Versammlung ist, wie der Senat mit Beschluss vom heutigen Tage festgestellt hat (OVG 1 SN 54.01), kann nichts anderes für die aus jener Veranstaltung hervorgegangene „Fuckparade“ gelten. Wenn jemand lediglich einen alternativen Musikgeschmack hat und diesen in der Öffentlichkeit darstellt, macht er von seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit Gebrauch, nimmt aber nicht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wahr, unabhängig davon, ob er ein kommerzielles Konzept wählt oder nicht.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil der Antragsteller in seinem Schreiben vom 19. März 2001 bestimmte Themen angegeben hat, unter denen die „Fuckparade 2001 – 5 Jahre Hateparade“ stattfinden soll. Das beabsichtigte Verteilen von ca. 20.000 Handzetteln, die sich in allgemeiner Form mit der Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus angestammten Stadtvierteln, mit der Schließung von Clubs und der Auflösung von Partys, mit der „Reinigung“ der Hauptstadt „von allem, was anders ist“ und mit der „Love Parade“ als „Pseudodemo“ befassen, ändert nichts an dem Gesamtgepräge der Veranstaltung als Massenspektakel oder Volksbelustigung. Soweit sich die Veranstalter gegen die „Love Parade“ aussprechen wollen, begründet dies nicht den Versammlungscharakter.

Es ist zwar durchaus denkbar, dass eine Mehrheit von Personen, die öffentlich zum Ausdruck bringen will, dass die „Love Parade“ aus bestimmten Gründen nicht im Tiergarten stattfinden sollte, eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes durchführt. Doch kann dies für die „Fuckparade“ nicht angenommen werden, da das Schwergewicht dieser Veranstaltung auf dem Gebiet der Unterhaltung liegt. Werden auf dem Weg der Fuckparade Handzettel mit der These verbreitet „Love Parade raus aus dem Tiergarten“, tritt dieser Aspekt gegenüber dem übrigen Erscheinungsbild der Veranstaltung in den Hintergrund. Das Gleiche gilt für die anderen Themen „Keine Zensur durch Kommerz“, „Leben statt Hauptstadtwahn“, „Keine Party ist illegal“. Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass die Meinungskundgabe nicht lediglich ein beiläufiger oder willkürlicher Nebenakt der Veranstaltung sein darf. Eine Unterhaltungsveranstaltung verliert nicht dadurch ihren Charakter, dass währenddessen mehr oder weniger nichtssagende Parolen verbreitet werden. Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass er im Gegensatz zur „Love Parade“ keine kommerziellen Interessen verfolge. Denn nicht nur rein kommerzielle, sondern auch überwiegend unterhaltende Veranstaltungen fallen nicht unter den Versammlungsbegriff. Schließlich ist nicht entscheidend, dass bestimmte Themen, die auf den Handzetteln angesprochen werden, zur Zeit in der Öffentlichkeit und in den Medien diskutiert werden. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es allein darauf an, ob die Veranstaltung durch das Element der Meinungskundgabe geprägt ist, was nach der Überzeugung des Senats zu verneinen ist.

Stellt die „Fuckparade 2001“ keine Versammlung dar, besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides. Denn es kann nicht hingenommen werden, dass die Veranstaltung ohne die für nicht versammlungsrechtliche Veranstaltungen erforderlichen Erlaubnisse durchgeführt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Bitzer, Heintzenberg, Dr. Michaelis-Merzbach