Zusammenfassung: Das Verwaltungsgericht Berlin begründet in diesem Beschluss ausführlich, warum die Fuckparade eine Demonstration im Sinne des Versammlungsgesetzes ist. Maßgeblich sind dabei die verteilten Handzettel mit den verständlichen Forderungen.

VG 1 A 166.01

Verwaltungsgericht Berlin
Beschluss

In der Verwaltungsstreitsache des Herrn Martin Kliehm, Antragsteller,

Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin Inka Bock, […] Frankfurt am Main

gegen

das Land Berlin, vertreten durch den Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, Antragsgegner,

hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin durch

  • den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Markworth,
  • den Richter am Verwaltungsgericht Groscurth sowie
  • die Richterin am Verwaltungsgericht Sanchez de la Cerda

am 28. Juni 2001 beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 21. Mai 2001 gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 14. Mai 2001 wird wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zu ¼, der Antragsgegner zu ¾.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 8.000,— DM festgesetzt.

Gründe

  1. I.

    Mit Schreiben vom 19. März 2001 meldete der Antragsteller bei dem Polizeipräsidenten in Berlin für den 14. Juli 2001 die „Fuckparade 2001“ als Gegenveranstaltung zur Love Parade an. Die Versammlung zu den Themen „Keine Zensur durch Kommerz“, „Love Parade raus aus dem Tiergarten“, „Leben statt Hauptstadtwahn“ und „Keine Party ist illegal“ soll zwischen 14 und 24 Uhr in Form eines Sternmarsches in den Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain stattfinden und auf dem Alexanderplatz mit einer Abschlusskundgebung enden. Zu der jährlich seit 1997 stattfindenden Veranstaltung werden ca. 10.000 Teilnehmer erwartet, die von 40 bis 50 Wagen begleitet werden sollen, von denen aus lautstarke Techno-Musik gespielt werden soll. An den Wagen sollen keine Werbeträger angebracht werden. Zudem sind im Verlauf der Veranstaltung keine Redebeiträge geplant. Vorgesehen ist stattdessen, im Vorfeld und während der Veranstaltung 20.000 Handzettel zu verteilen, die unter anderem folgenden Text enthalten:

    „5 Jahre Kampf um die Nischen. Um die Orte, an denen wir unsere Freunde treffen, unsere Parties feiern, einfach gerne leben. (…) 5 Jahre Kampf gegen die Schönbohms und Werthebachs dieser Welt, die in ihrem Hauptstadtwahn alles bereinigen, das anders ist. (…) 5 Jahre Demonstration für lebendige Sub- und Clubkultur, für den Erhalt der vielfältigen Formen von Kunst und Kultur. (…) 5 Jahre Stachel im Fleisch der Love Parade. Sand im Getriebe des Millionen-Konzerns. (…) Wir fordern: Keine Behörden-Schikanen mehr. Service statt Razzien! Keine Party ist illegal! Lebenswerte Städte statt Hauptstadtwahn! Love Parade nie wieder als Pseudo-Demo, vollständige Aufdeckung der Finanzen von Love Parade GmbH und ihrer Subunternehmen! Love Parade raus aus dem Tiergarten!“

    Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 14. Mai 2001 teilte der Polizeipräsident in Berlin dem Antragsteller mit, dass die Anmeldung der „Fuckparade 2001“ nicht als Anmeldung einer Versammlung entgegengenommen und bestätigt werden könne, weil die in Rede stehende Parade keine öffentliche Versammlung darstelle. Zwar umfasse die Versammlungsfreiheit vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens und damit gegebenenfalls auch musikalische Ausdrucksformen. Erforderlich sei aber als gemeinsamer Zweck die kollektive Meinungsbildung und -kundgabe. Würde dagegen jede innere Verbindung der Versammlungsteilnehmer für die Qualifikation als Versammlung ausreichen, widerspräche dies der überragenden Bedeutung der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit.

    Bei der „Fuckparade“ gehe es nicht um eine kollektive Meinungsbildung oder -kundgabe. Insbesondere verleihe das Verteilen von Handzetteln im Vorfeld der Veranstaltung bzw. deren Motto der Veranstaltung kein Gepräge als Versammlung. Entscheidend sei der tatsächliche Charakter der Veranstaltung, wobei die Rolle der Teilnehmer hier auf das Zuhören und Tanzen beschränkt sei. Zudem mache allein der politische Inhalt einer musikalischen Darbietung Zuschauer und Zuhörer nicht zu Versammlungsteilnehmern, wenn sie sich auf das Erleben der Darbietung beschränkten. Mangels eines politischen oder anderen Inhalts vermittele die Musik keinen Bezug zu den beliebig austauschbaren Themen der Veranstaltung. In dem Tanzen der Teilnehmer könne außerdem keine sichtbare Identifizierung mit bestimmten Themen erblickt werden. Vielmehr überwiege der Spaßcharakter der mit einem modernen Volksfest vergleichbaren Veranstaltung derart, dass ernsthaftere Anliegen in den Hintergrund treten würden. Auch bei Zugrundelegung eines weiteren Versammlungsbegriffs könne die „Fuckparade“ nicht als Versammlung angesehen werden, weil eine gewisse innere Bindung der Teilnehmer nicht erkennbar sei. Durch die Musik als solche könne eine solche Bindung nicht erreicht werden. Unerheblich sei schließlich, dass die Veranstaltungen der letzten Jahre behördlicherseits als Versammlungen behandelt worden seien, weil es dem Polizeipräsidenten in Berlin unbenommen sei, seine Auffassung dazu zu ändern.

    Gegen den Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Mai 2001 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde. Zur Begründung trägt er vor, die „Fuckparade“ stelle keine bloße Ansammlung, sondern eine Versammlung dar. Die notwendige Meinungsäußerung werde bei dieser Veranstaltung verständlich durch die Musik artikuliert, zumal die Themen der Demonstration in Sprechgesängen und „eingesampelten Textpassagen“ zum Ausdruck gebracht werden würden. Die Musik sei Inhalt und Mittel der kollektiven Meinungsäußerung. Die Versammlungsteilnehmer beschränkten sich dabei nicht auf das Zuhören und Tanzen. Im Unterschied zu der Love Parade könne zwischen den Teilnehmern und den Wagen nicht wie zwischen Besuchern und Akteuren unterschieden werden, weil die „minderheitlichen Sonderformen“ der Techno-Musik die Meinungsäußerung aller versammelten Personen darstelle. Die „Fuckparade“ verfolge im Übrigen – wie in den Vorjahren – die in der Anmeldung genannten Themen. Die verschiedenen Musikstile seien Ausdruck der Lebensart von Subkulturen. Diese subkulturellen Minderheiten würden aufgrund der aktuellen städteplanerischen Entwicklung der Stadt aus ihren angestammten Stadtvierteln verdrängt. Wegen fehlender Werbeeinnahmen bestünden zudem nicht die finanziellen Möglichkeiten, Räume für diese Minderheit zur Verfügung zu stellen. Gegen die Verdrängung ihrer kulturellen und politischen Betätigungsform und gegen die Zerstörung des öffentlichen Raums durch private Sicherheitsdienste und die Installation von Videokameras wende sich die „Fuckparade“. Insbesondere demonstriere sie exemplarisch gegen die Schließung des Veranstaltungsorts „Bunker“.

    Schließlich sei sie gegen die Unterwanderung bestimmter Musikstile durch Rechtsradikale und gegen die Sinnlosigkeit der Selbstinszenierung der Love Parade. Die dargestellten Forderungen der Teilnehmer würden durch die Musik und konkrete Aktionen ausgedrückt. Durch die gemeinsame, von Musik begleitete Streckenbegehung werde auf die Bedrohung der durch die besondere Techno-Musik geprägten Kultur hingewiesen, wobei die Fortbewegung der Versammlung die Rückgewinnung des öffentlichen Raums symbolisiere. Die Routen führten dementsprechend an den am meisten vom Wandel betroffenen Stadtvierteln entlang. Im Gegensatz zur Love Parade würden Getränke überdies gegen Pfand aus den Wagen heraus zum Selbstkostenpreis verkauft, wodurch die Kommerzialisierung der Love Parade angeprangert werde. Dies werde durch die Nähe der Abschlusskundgebung zum Sitz der Love Parade Berlin GmbH unterstrichen. Im Laufe der Durchführung der Versammlung würden Handzettel an Passanten verteilt werden, um auf die beschriebenen Inhalte schriftlich hinzuweisen. Dass ansonsten keine Redebeiträge vorgesehen seien, sei unerheblich, da das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vielfältige Verhaltensformen – z.B. auch Schweigemärsche – schütze. Die „Fuckparade“ mache durch eine non-verbale Ausdrucksform auf die Meinung der Teilnehmer aufmerksam, während sich der Zweck der Love Parade im Herbeiführen eines konkreten Lebensgefühls erschöpfe, eine über die bloße Selbstinszenierung hinausgehende Meinungsäußerung aber nicht zu verzeichnen sei.

    Der Antragsteller hat am 22. Mai 2001 seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Seine Begründung entspricht im Wesentlichen der Begründung seines Widerspruchs. In Bezug auf die hilfsweise beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung trägt er vor, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichend begründet worden sei. Unabhängig davon, dass das Suspendierungsinteresse das Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit überwiege, weil die „Fuckparade“ eine Versammlung darstelle, ergäbe auch eine wertende Abwägung den Vorrang des Suspendierungsinteresses. Darüber hinaus beziehe sich das Thema „Keine Party ist illegal“ nicht auf die „Fuckparade“, sondern auf andere Zusammentreffen und Feiern, die nicht geduldet würden. Im Übrigen könnten die Versammlungsthemen nicht als bloße Floskeln abgetan werden, was sich auch daraus ergebe, dass am 23. Juni 2001 auf Veranlassung des Antragstellers mit Politikern aus Berlin eine Diskussionsveranstaltung zu dem Thema „Politik vs. Party – wie wichtig ist Sub- und Clubkultur für eine lebenswerte Stadt“ stattgefunden habe. Im Übrigen verletze der Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil auch die Parade anlässlich des Christopher-Street-Days als Versammlung eingestuft worden sei.

    Der Antragsteller beantragt,

    1. den Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die mit dem Schreiben vom 19. März 2001 angemeldete Fuckparade / Hateparade nach dem Versammlungsgesetz zu behandeln.
    2. hilfsweise die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 14. Mai 2001 wiederherzustellen.

    Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

    Zur Begründung nimmt er auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides Bezug. Ergänzend trägt er vor, die Versammlungsfreiheit ermögliche die geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement der freiheitlich demokratischen Staatsordnung. Die Privilegierung der Versammlungsfreiheit gegenüber anderen Freiheitsrechten habe dementsprechend ihren Grund in der besonderen Schutzbedürftigkeit der Meinungskundgabe. Eine Veranstaltung könne deshalb nur dann als Versammlung eingestuft werden, wenn eine solche kollektive Meinungsbildung und -kundgabe objektiv vorliege, da anderenfalls eine konturenlose Ausdehnung des Versammlungsbegriffs zu besorgen sei. Die „Fuckparade“ erfülle die aufgezeigten Kriterien nicht. Sie sei nach ihrem Selbstverständnis, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Erscheinungsbild nichts anderes als ein musikalisches Spektakulum, dessen Teilnehmer sich nach ihren Vorstellungen zur Musik auslebten. Unter dem Motto „Weg vom Mainstream“ der bürgerlich und etabliert werdenden Love Parade habe sie sich als Gegenereignis entwickelt.

    Der jeweilige Verlauf der „Fuckparade“ und die der Love Parade ähnliche äußere Erscheinung würden belegen, dass eine objektiv nachvollziehbare kollektive Meinungsbildung und -kundgabe überhaupt nicht im Vordergrund stünden. Da in dem „Flyer“ des letzten Jahres von einer Party die Rede gewesen und damit geworben worden sei, dass sich auf der „Fuckparade“ Menschen träfen, denen es wichtiger sei gemeinsam zu feiern, müsse auch im Blick auf die diesjährige Parade davon ausgegangen werden, dass es lediglich darum gehe, ein Fest zu feiern. Mit dem Stellenwert der Versammlungsfreiheit sei es nicht vereinbar, die Einstufung einer Versammlung allein den Formulierungs- und Präsentationskünsten des Veranstalters zu überlassen. Die vom Antragsteller ausgewiesenen Themen seien nichtssagend und zu global, ums als Meinung zu gelten. In ihrer Beliebigkeit würden sie die Gefahr belegen, nahezu jedes kollektive Unternehmen als Versammlung zu deklarieren. Im Übrigen fehle dem Hilfsantrag das Rechtsschutzbedürfnis.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gerichtliche Streitakte sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen, der vorgelegen hat.

  2. II.

    1. Der auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – gerichtete Hauptantrag ist unzulässig, weil er nicht statthaft ist. Da es dem Antragsteller im Ergebnis um die Abwehr eines belastenden Verwaltungsakts geht, kommt allein ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht, weil dieser gegenüber dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorrangig ist (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Die Ablehnung der Versammlungsbestätigung ist als belastende Regelung des Inhalts anzusehen, dass für die von dem Antragsteller geplante Veranstaltung die versammlungsrechtliche Privilegierung nicht gilt und insoweit die Regeln und Zuständigkeiten allgemeinen Ordnungsrechts zu beachten sind (ständige Kammerrechtsprechung, vgl. Beschluss der Kammer vom 5. Juli 1999, VG 1 A 225.99, Entscheidungsabdruck, S. 7; zur rechtlichen Tragweite der sog. Versammlungsbestätigung vgl. auch Markworth, Versammlungsfreiheit in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin, Festschrift für Günter Berge 1989, S. 83, 87 f.). Im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 14. Mai 2001 würde dem Begehren des Antragstellers, die „Fuckparade“ als Versammlung einzustufen, entsprochen. Denn in diesem Fall würde die Parade weiterhin eine angemeldete Versammlung darstellen. Einer einstweiligen Anordnung, durch die der Versammlungsstatus festgestellt wird, bedarf es daher nicht.

    2. Der Hilfsantrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten vom 14. Mai 2001 wieder herzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO aus den oben dargelegten Gründen statthaft. Der auch im Übrigen zulässige Antrag ist überdies begründet. Das Interesse des Antragstellers an der Suspendierung des genannten Bescheides überwiegt das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und allein gebotenen summarischen Prüfung bestehen gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides durchgreifende Bedenken.

      Der angefochtene Bescheid geht zu Unrecht davon aus, dass es sich bei der Fuckparade 2001 nicht um eine Versammlung handelt. Nach Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – ist eine Versammlung eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwGE 82, S. 34, 39; vgl. auch VGH München, BayVBl. 1994, S. 600, 601; OVG Weimar, NVwZ-RR 1998, S. 497, 498; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, S. 271; von Münch/Kunig, Grundgesetz, 5. Auflage, Art. 8 Rn. 14; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Art. 8 Rn. 3; Hoffmann-Riem, AK-GG, 2. Aufl., Art. 8 Rn. 12). Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind dabei nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Form beschränkt (BVerfGE 69, S. 315, 343), so dass auch die Form eines Festes der Annahme einer Versammlung nicht entgegenstehen muss. Das Merkmal der gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung darf mithin nicht eng verstanden werden und muss auf die real vorkommenden Formen kommunikativer Entfaltung Rücksicht nehmen (Hoffmann-Riem, AK-GG, Art. 8 Rn. 13).

      Entscheidend ist aber, dass die Veranstaltung auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform gerichtet ist (BVerwGE 82, S. 34, 39). Im Gegensatz zu der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass es auf das Element des verbindenden Zwecks der Meinungsbildung und -äußerung nicht ankomme (vgl. nur Herzog, in Maunz/Dürig, GG, Stand: August 2000, Art. 8 Rn. 50; Brenda, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand Mai 2001, Art. 8 Rn. 27; Kniesel, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Auflage, Teil H, Rn. 14; Wiefelspütz, Aktuelle Probleme des Versammlungsrechts in der Hauptstadt Berlin, DöV 2001, S. 21, 22; Deutelmoser, NVwZ 1999, S. 240, 241 – sog. weiter Versammlungsbegriff), sondern vielmehr jeder die Teilnehmer verbindende Zweck für die Einstufung als Versammlung ausreichend sei, sieht die Kammer in der Meinungsbildung und -äußerung ein unverzichtbares Element, um Versammlungen im eigentlichen Sinn von Ansammlungen bzw. Volksbelustigungen abgrenzen zu können (vgl. bereits Beschluss vom 2. November 2000, VG 1 A 335.00, Entscheidungsabdruck, S. 7; im Ergebnis bestätigt durch Beschluss des OVG Berlin, NJW 2001, S. 1740). Es besteht nach Überzeugung der Kammer keine Notwendigkeit, jegliches Zusammenkommen einer Mehrzahl von Personen zu jedem beliebigen Zweck in der Öffentlichkeit als Versammlung nach Art. 8 GG zu qualifizieren.

      Abgesehen davon, dass dies nicht zwingend im Sinne der Teilnehmer sein muss – selbst die vom weiten Versammlungsbegriff umfasste Wandergruppe (sie erwähnt Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 1996, Art. 8, Rn. 16) würde etwa dem Anmeldungserfordernis des § 14 VersG unterliegen –, steht das Zusammenkommen zudem nicht außerhalb jeden grundgesetzlichen Schutzes, da in der Regel jedenfalls der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet sein wird.

      Die „Fuckparade“ ist nach den dargelegten Maßstäben als Versammlung zu qualifizieren, weil das Element der Meinungskundgabe bei dieser Veranstaltung jedenfalls nicht völlig in den Hintergrund tritt, sondern als gemeinsamer Zweck durchaus nach außen erkennbar wird.

      Zwar kann die erforderliche Meinungsäußerung – entgegen der Ansicht des Antragstellers – nicht bereits in dem Abspielen der Musik und dem Tanz der Versammlungsteilnehmer gesehen werden. Denn dadurch wird der Inhalt der Meinung nicht nach außen verständlich kundgetan. Die Techno-Musik für sich genommen und das Tanzen der Teilnehmer zu dieser Musik lässt für Aussenstehende keinen Unterschied zu der bloßen Äußerung von Lebensfreude im Rahmen einer Feier erkennen. Würde bereits dieses Verhalten eine Meinungskundgabe in dem Sinne darstellen, dass für die Musik als solche demonstriert wird, würden die Begriffe der Meinungskundgabe oder Meinungsbildung als einschränkendes Kriterium ihre Bedeutung verlieren. Denn dann müsste jegliches tatsächliches Verhalten in Gruppenform zugleich als kollektive Meinungsäußerung zugunsten dieses Verhaltens qualifiziert werden.

      Ebenso wenig kann aus dem Inhalt der Musiktexte auf das Element der Meinungsbildung oder Meinungsäußerung geschlossen werden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Texte angesichts der lauten Musik die Anliegen der Veranstalter verständlich vermitteln können.

      Darüber hinaus liegt auch allein in der Fortbewegung der Versammlungsteilnehmer, die eine Rückeroberung der Stadtviertel durch subkulturelle Minderheiten versinnbildlichen soll, keine Meinungsäußerung im hier verstandenen Sinn. Denn auch dieses Anliegen erschließt sich dem unbefangenen Beobachter nicht ohne Weiteres, dem gegenüber die Meinung aber gerade kundgetan werden soll.

      Vorliegend ist vielmehr entscheidend, dass die Themen der „Fuckparade“ während der Veranstaltung auf zahlreichen Handzetteln verbreitet werden sollen. Auf diesen „Flyern“ werden die Anliegen der Veranstalter relativ ausführlich und für jedermann verständlich wiedergegeben. So wendet sich die Veranstaltung gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus angestammten Stadtvierteln, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Parties, gegen die „Reinigung“ der Hauptstadt „von allem, was anders ist“, und gegen die kommerzialisierte Love Parade als „Pseudo-Demo“. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der Kammer im Gegensatz zu dem jährlichen Motto der Love Parade nicht nur um sinnentleerte Schlagworte, sondern um nachvollziehbare, inhaltlich näher begründete Anliegen, die der Antragsteller verfolgt. Eine inhaltliche Bewertung der Versammlungsthemen kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht.

      Die Kammer geht ferner nicht davon aus, dass die formulierten Anliegen nur vorgeschoben sind, um der „Fuckparade“ der Charakter einer Versammlung zu verleihen, ohne dass es den Veranstaltern eigentlich um die Vermittlung bestimmter Ansichten ginge. Denn die Anliegen der Versammlung wurden in dieser oder ähnlicher Form bereits in den vergangenen Jahren vertreten, obwohl die Einstufung der „Fuckparade“ als Versammlung zu diesem Zeitpunkt durch den Polizeipräsidenten in Berlin noch nicht in Frage gestellt wurde. Überdies hat sich die „Fuckparade“ von Anfang an bewusst als Gegenveranstaltung zur Love Parade verstanden, um unter anderem die Ablehnung der Kommerzialisierung der Love Parade auszudrücken. Auch die Forderung, die Love Parade dürfe nicht weiter im Tiergarten stattfinden, entspringt einer aktuellen Diskussion und entspricht der Meinung anderer Personen. Dafür, dass die Themen der „Fuckparade“ durch die Veranstalter nicht ernst genommen werden, sind außerdem angesichts der näheren Ausführungen auf den Handzetteln, wegen der Verbreitung ihrer Ansichten in den Medien (vgl. den Artikel der FAZ vom 10. April 2001, Bl. 71 d.A. und Veröffentlichungen im Internet, Bl. 65 und 72 d.A.) sowie angesichts der durch den Antragsteller veranlassten Diskussionsveranstaltung mit Politikern zu dem Thema „Sub -und Clubkulturen“ in Berlin konkrete Anhaltspunkte nicht ersichtlich.

      Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen kommt der „Fuckparade“ nicht ausschließlich das Gepräge einer Spaßveranstaltung zu, deren Zweck in keiner Weise auf die Vermittlung bestimmter Inhalte angelegt ist. Dem Element der Meinungskundgabe wird nach Auffassung der Kammer vielmehr ausreichend Rechnung getragen. Die inhaltlichen Anliegen werden mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht; weitere Redebeiträge sind hierfür nicht erforderlich. Dass daneben auf Handzetteln der Vorjahre von dem Wunsch, zu feiern, oder von der Veranstaltung als Party die Rede war, vermag der Versammlungseigenschaft nichts zu ändern, weil es lediglich darauf ankommt, ob gegebenenfalls neben anderen Merkmalen einer Veranstaltung die Elemente der Meinungsbildung oder Meinungsäußerung in nicht unerheblichen Maße zum Vorschein kommen.

      Soweit – wie hier – Musik und Tanz zur Unterstützung der Versammlungsthemen als spezifische Ausdrucksformen eingesetzt werden, ist dies für die Qualifizierung als Versammlung unschädlich. Denn Veranstaltungen sind – wie oben bereits erwähnt – nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt und können sich verschiedenster Ausdrucksformen bedienen, solange nur die erforderliche Meinungsbildung oder Meinungskundgabe nicht in den Hintergrund tritt. Dies ist vorliegend – wie aufgezeigt – nicht der Fall.

      Der Qualifizierung der „Fuckparade 2001“ als Versammlung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es einer Vielzahl der Versammlungsteilnehmer möglicherweise nicht auf die Kundgabe bestimmter Meinungsinhalte ankommt. Solange der Veranstalter und ein nicht unerheblicher Anteil der Teilnehmer die Kundgabe bestimmter Meinungen bezweckt, kann es nicht zu deren Lasten gehen, wenn sich der Versammlung auch Personen anschließen, die diesen Zweck nicht vor Augen haben. Rein tatsächlich ist es gerade bei Großveranstaltungen unmöglich zu gewährleisten, dass sämtliche oder ein Großteil der Teilnehmer dieselbe Meinungskundgabe bezwecken.

      Schließlich kann die Versammlungseigenschaft der „Fuckparade“ im Gegensatz zur Love Parade (vgl. Beschluss der Kammer vom 28. Juni 2001, VG 1 A 195.01) nicht mit dem Argument verneint werden, sie verfolge überwiegend kommerzielle Zwecke. Dies ist bei der „Fuckparade“ unstreitig nicht der Fall. Weder müssen für die einzelnen Wagen Startgebühren entrichtet werden noch sind hier Werbeeinnahmen oder sonstige Gewinne zu erwarten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wobei sich der Anteil des Unterliegens des Antragstellers mit seinem Hauptantrag auf ¼ beläuft. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung – steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Die Zulassung der Beschwerde ist innerhalb zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin zu stellen. Er muss den angefochtenen Beschluss bezeichnen. Ferner sind in dem Antrag die Gründe darzulegen, aus denen die Beschwerde zuzulassen ist.

Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Beschwerde. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte und Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einhundert Deutsche Mark übersteigt.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstr. 7, 10557 Berlin, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist spätestens innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

In dem Verfahren über die Streitwertbeschwerde bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.

Markworth, Groscurth, Sanchez de la Cerda