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Solidarität statt Prekarität – Hol Dir Dein Leben zurück!

Demonstrierende ziehen an der Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz vorüberStart des EuroMayday 2007 am Lausitzer Platz (Foto: epha)

Letztes Jahr nahmen mehrere tausend Demonstrierende an der Mayday-Parade in Berlin teil, um gegen prekäre Verhältnisse zu demonstrieren. Dieses Jahr bildet den Auftakt ein Konzert mit Bernadette La Hengst (Ex-Die Braut haut ins Auge) sowie Rhythm King and Her Friends, am 1. Mai um 13:45 Uhr am Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg. Anschließend zieht die Demo mit Transparenten und Musikwagen durch Kreuzberg und Neukölln, darunter auch Redner und ein Wagen von der Fuckparade.

Alles super?

Super-fleißig, super-billig, super-freundlich. Super-kreativ, super-motiviert, super-flexibel – wir sollen uns aufführen, als wollten wir Stars werden, Superstars. Das Leben als Casting-Show. In der Jury sitzen sie, die Dieter Bohlens und Heidi Klums der Gesellschaft: die Personalchefs und SachbearbeiterInnen, die ArbeitsmarktreformerInnen und Wirtschaftsweisen, die ChefredakteurInnen, HochschulrektorInnen, RichterInnen und Polizeipräsidenten. Sie entscheiden, wer rausfliegt und wer weiterkommt. Und weil sie uns täglich eintrichtern, dass nur die eine Chance haben, die ständig alles geben, machen wir den Rest fast von allein. Das schlechte Gewissen, vielleicht nicht alles versucht zu haben, ersetzt den besten Sklaventreiber. Das Hamsterrad dreht sich, wir laufen. Das prekäre Leben winkt uns zu.

Jung, dynamisch, flexibel, gefeuert

„Prekär“ nennen wir ein Leben in materieller Unsicherheit, Existenzangst und Stress. Und prekäre Verhältnisse sind auf dem Vormarsch. Die Überstunden an der Supermarktkasse, die durchgearbeiteten Nächte vor’m Computer, die Ungewissheit, wo Arbeit aufhört und Freizeit anfängt. Die unbezahlten Praktika, die 1-Euro-Jobs, die Geldsorgen und 1000 Nöte, in denen wir stecken, sind Teil desselben Problems. Wo freie Zeiteinteilung, Selbstverwirklichung und Eigeninitiative draufsteht, ist meist Arbeitshetze, Ausbeutung und Rechtlosigkeit drin.

Im Kapitalismus gehören Prekarität und Arbeit sowieso zusammen. Wer vom Verkauf seiner Arbeitskraft leben muss, kann sich nicht in Sicherheit wiegen. Aber für die Unsicherheit gab es lange Zeit Einschränkungen – zumindest in Deutschland und anderen reichen Ländern der Welt. Dafür sorgten fest geregelte Verhältnisse im Arbeitsleben und sozialstaatliche Institutionen, die ein gewisses Maß an materieller Sicherheit boten. Das galt noch nie für Flüchtlinge und MigrantInnen und für Frauen auch nur mit Abstrichen. Aber Arbeiter, Angestellte und Akademiker mit deutschem Pass mussten sich zumindest keine Sorgen machen vor dem Absturz ins Bodenlose. Das hat sich geändert.

Prekäre Perspektiven

Die alltägliche Ungewissheit ist nicht nur persönliches Lebensgefühl für immer mehr Menschen – sie ist die neue Normalität geworden, an der sich das Leben aller ausrichten soll. Und sie hält nicht nur die unmittelbar Betroffenen auf Trab. Die bloße Angst vorm Abstieg genügt, um auch diejenigen zu Höchstleitung anzuspornen, die noch ein geregeltes Arbeitsverhältnis haben. Als abschreckendes Beispiel dienen die Erwerbslosen, die nach ein oder zwei Jahren Arbeitslosigkeit als unvermittelbar gelten. Der Abbau sozialer Sicherheiten und die Drohung, man sei jederzeit ersetzbar, verschärfen die Konkurrenz untereinander. Erwerbslose werden gegen Beschäftigte in Stellung gebracht, LeiharbeiterInnen gegen Stammbelegschaften ausgespielt, Flüchtlinge und Erwerbslose zu Sündenböcken für den Rest gemacht, zum Blitzableiter für den Frust der Mehrheit. Um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge nicht auf der Suche nach einem besseren Leben einreisen, rüstet Europa seine Außengrenzen zu modernen Festungen hoch. Wer es trotzdem schafft, die Grenzen zu überwinden, ist ohne gültige Papiere der Willkür der UnternehmerInnen ausgeliefert. Oder nimmt deutschen Familien die Arbeit im Haushalt und bei der Aufzucht der Kleinen ab – damit Mami und Papi sich voll dem Beruf widmen können…

Wir sind doch keine Aufziehpuppen!

Prekarität ist überall – und überall ein bisschen anders. Aber eines ist klar: Ohne die Prekären läuft hier gar nichts! Abgekoppelt und überflüssig – soll das ein Witz sein? Wie kann ein Mensch überflüssig sein? In diesem Leben werden wir keine Stars mehr. Ist auch nicht nötig, denn wir sind Helden – Heldinnen und Helden des prekären Alltags. Wir wissen, wie man überlebt in Zeiten von Prekarisierung und Hartz IV. Wir jonglieren mit mehreren Jobs, Kindern und Studium. Wir sind erwerbslos und über Fünfzig. Wir sind Hauptschulabgänger ohne Lehrstelle. Wir haben keinen gesicherten Aufenthalt und sind von Abschiebung bedroht. Und wir haben mehr gemeinsam, als man uns glauben macht.

Hol dir dein Leben zurück!

Der Mayday lädt alle ein, nicht länger für sich allein zu bleiben, sondern gemeinsam für ein besseres Leben auf die Straße zu gehen. Von Arbeit muss man leben können – ohne Arbeit auch! Um dem täglichen Konkurrenzkampf und der Vereinzelung zu entgehen, solidarisieren, vernetzen und organisieren wir uns. Dem Ruf nach Selbstausbeutung und permanenter Verwertbarkeit halten wir unsere Forderung nach einem schönen Leben und freier Bildung für alle entgegen! Nationalismus und Rassismus erteilen wir mit der internationalen Mayday-Organisierung eine klare Absage! Am 1. Mai treten wir aus der gesellschaftlichen Unsichtbarkeit heraus und tauschen uns über Ideen und Alternativen gegen die täglichen Zumutungen aus. Wir lassen uns inspirieren vom Beispiel der Flüchtlinge, die vor zwei Jahren auf der Baustelle der Berliner Rathauspassage um ihren Lohn betrogen wurden. Sie haben sich organisiert, den Auftraggeber unter Druck gesetzt und ihr Geld schließlich bekommen. Wir berichten von denjenigen Erwerbslosen, die nur noch in Gruppen ins Jobcenter gehen. Zusammen schaffen sie es, den täglichen Schikanen etwas entgegen zu setzen und sich nicht klein machen zu lassen. Und auch von den SuperheldInnen aus Hamburg werden wir sprechen. Sie haben vor einem Jahr vorgemacht, dass man sich seinen Teil am Reichtum nehmen kann, ohne groß zu fragen. Sie haben die Waren aus einem Luxussupermarkt kurzerhand an die Prekären der Hansestadt umverteilt.

Solidarität statt Prekarität!

Erst in Italien, inzwischen fast überall in Europa hat sich die Bewegung der Prekären formiert. Vor einem Jahr erreichte sie auch Berlin. Mehr als 6000 zogen auf der ersten Berliner Mayday-Parade durch Kreuzberg und Neukölln und protestierten gegen die Prekarisierung von Arbeit und Leben. Sie beteiligten sich auf vielfältige und kreative Weise an der Gestaltung des Umzugs und bewiesen so, dass auch in Berlin am 1. Mai neue Formen von Protest und Widerstand nötig und möglich sind. Daran knüpfen wir an.

Kommt zur Parade, beteiligt euch, macht Aktionen, lasst euch was einfallen! Kommt am 1. Mai um 13:45 Uhr zum Lausitzer Platz in Kreuzberg.

Hol dir dein Leben zurück – Solidarität statt Prekarität! Mayday in Berlin! Milano! Malaga! Helsinki! Leon! Hamburg! Hanau! Wien! Copenhagen! Napoli! Liège!

Kontakt:


berlin.euromayday.org