|

Der folgende Artikel erschien am 6. Juni 2002 im „Nachtexpress“, der gemeinsamen Demo-Zeitung von Fuckparade und Nachttanzdemo street re.public Frankfurt am Main:

Ende der Spaßgesellschaft

„Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Ich fordere die auf der Fahrbahn Albrechtstraße befindliche Personengruppe auf, die unerlaubte Ansammlung zu beenden, auseinanderzugehen und sich in Richtung Reinhardtstraße zu entfernen. Sollten Sie nach der letzten Aufforderung sich nicht entfernt haben, wird körperliche Gewalt gegen Sie angewandt. Dies ist die letzte Aufforderung. Null-ein-Uhr-dreizehn.“

Durchsage der Polizei nach der Räumung des Bunkers

Viele sprechen davon, daß die Fuckparade als Gegenbewegung zur Love Parade entstanden sei, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Für mich wurde die Fuckparade geboren in einer lausig kalten Nacht am 14. Dezember 1996: Es sollte die letzte Nacht im Bunker werden, dem „hardest club on Earth“, unserem geliebten Betonklotz am Rande des Scheunenviertels.

Nachdem der Bunker in den kreativen Jahren nach dem Mauerfall in einer rechtlichen wie städteplanerischen Grauzone existierte, wurde er im Sommer 1996 aufgrund „zu niedriger Decken“ geschlossen. Selbst die Notausgänge wurden als unzureichend angemahnt, dabei habe ich nie im Leben zahlreichere und breitere Fluchttreppen als in diesem mehrere tausend Personen fassenden Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg gesehen. Umbaumaßnahmen wurden von der Oberfinanzdirektion als Eigentumsverwalter schlichtweg abgelehnt (absichtlich?), so daß sich die Betreiber in der klassischen Falle der Amtsschere sahen und zum Aufgeben gezwungen waren. Nicht ohne sich einige Male dagegen aufzubäumen: Die Party am 14. Dezember war als die definitiv letzte vorgesehen; ich sollte dort mit Gabba Nation, XOL DOG 400 und anderen Freunden zusammen auflegen.

Zwar waren die Eingänge zuvor behördlich versiegelt worden, Polizeistreifen patroullierten schon Tage vorher um den Bunker herum, doch stellte es für die Veranstalter kein Hindernis dar, durch eine übersehene, unversiegelte Tür einzudringen und am Abend subversiv mit Handys bewaffnet kleine Gruppen in den unbeleuchteten Hof zu schleusen. Bedauerlicherweise war uns ein würdiger Abschied von unserem naßkalten zweiten Zuhause nicht gegönnt, denn schon vor elf rückte die Staatsmacht mit einigen Wannen an und räumte den Laden. Das passierte uns damals so ziemlich auf jeder zweiten Party und auch heute noch gelegentlich, aber in diesem Fall war es besonders schmerzlich.

Noch Stunden danach standen etwas über hundert Gabbas verfroren auf der Straße, tanzten um XOL DOG’s ollen Peugeot 106 und dessen fette Anlage herum und warteten ab, was die verbliebenen Wannen wohl machen würden. Wir dachten, sie würden irgendwann abziehen, und auch wir könnten dann mal nachhause gehen. Sich als RoboCops verkleiden und körperliche Gewalt gegen Tänzer androhen, damit hatte allerdings niemand gerechnet.

Anders als bei der Lärm-Demo in Frankfurt am Main ein halbes Jahr später kam es jedoch nicht zur Eskalation, und wir fanden uns im Eimer bei einem Digital Hardcore-Konzert wieder. Die rechtliche Schwelle von der Ansammlung zur Spontandemonstration haben wir damals knapp verfehlt – wer dachte von uns schon an Demos? Das war etwas aus den 80ern und von alten Gewerkschaftlern mit Tränensäcken unter den Augen.

Wiederum im Eimer traf sich fast die gleiche Konstellation von Leuten drei Monate später zu „UltraCore II“, ich pennte bei Cut-X in Kreuzberg, und wir unterhielten uns darüber, wie schade es ist, daß der Bunker geschlossen wurde. Auch auf die Love Parade konnte man schon lange nicht mehr gehen, nicht nur, weil dort kein Gabba mehr gespielt werden durfte: Gabba war seit der Kampagne von Frontpage als prollig verschrien, die DJ-Götter der Love Parade hatten ihre obere Geschwindigkeitsbegrenzung erreicht und spielten jetzt gefälligen House oder „Intelligent Techno“.

Bei der Love Parade 1993 fand ich es noch wichtig, ein Zeichen zu setzen und gegen die Drogenhysterie und Clubschließungen nach Razzien auf die Straße zu gehen, den erstaunten Touris auf dem Q-Damm zu zeigen, daß sie vor dem, was sich sonst nur in den berüchtigten Techno-Diskos abspielte, keine Angst zu haben brauchten. Wer konnte ahnen, daß das darin enden würde, daß ausgerechnet U96 den ersten scheiß-kommerziellen Techno-Hit in den Charts landen würde? (Warum orientieren sich heute Techno-Videos an der sex-sells-Ästhetik von bitchy Rap-Videos? Warum muß ich mir fette, gelangweilte DJ-Stars statt cooler psychedelisch-animierter Computergrafiken ansehen?)

Spätestens 1996 war der Schritt der Love Parade in die Kommerzialität besiegelt, und die wenigen, die mit Dr. Motte eine subtile Vorstellung von der politischen Dimension einer Demonstration hatten, konnten sich in der Masse ebensowenig artikulieren wie ihr Guru vor dem Mikro. Erste Diskussionen über den Demonstrationsstatus der Love Parade wurden laut. Also machten wir unsere eigene Demo.

Eine Demo in Berlin anzumelden war nicht wirklich schwer. Ich rief bei der Polizei an und man sagte mir, ein formloses Fax würde genügen. Gegendemo zur „Loof Parade“ sei ja ganz schön, aber welche weiteren Inhalte gäbe es denn? Außer der Kritik an der Love Parade konnte man natürlich die Schließung des Bunkers und die drohende Schließung des Tacheles und anderer Orte unmöglich in einem räumlichen Vakuum begreifen, sondern nur im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung!

Jahre zuvor hatte ich meine Liebe zum Scheunenviertel entdeckt, als ich knapp zwanzigjährig eine Touri-Führung mitmachte und mich ein zotteliger Hausbesetzer ansprach. Ich war total skeptisch, aber er wollte mir nur eine absurd-geniale stählerne Mobilé-Installation in einem verrotteten Hinterhof zeigen, auf die er stolz war. So ähnlich wie das Tacheles, nur authentischer. Ich war begeistert! Und nun sollte das alles plattgemacht werden, damit ein paar Regierungsbonzen eine repräsentative Hauptstadt bekämen? Sterile Bürokomplexe werden nicht zu schöneren oder lebenswerten Plätzen, nur weil man ein paar Marmorsäulen davorknallt. Echte Kreativität und Innovation entsteht ganz von alleine in verrotteten Hinterhöfen und zotteligen Hausbesetzerköpfen, wenn man ihnen nur die Freiräume läßt.

Erwartungsgemäß stürzte sich die Presse überwiegend auf die scheinbar erstaunliche Tatsache, daß die Love Parade nicht die einzige gottgewollte Repräsentation des Techno auf Erden ist. Genauso sah man es aber als gottgegeben an, daß der Bunker geschlossen wurde und erwähnte es mit kaum einem Wort. Mit Slogans wie „gegen den Ausverkauf des Scheunenviertels“ konnte sowieso niemand etwas anfangen – inzwischen haben genügend Studien die Veränderung des Bezirks dokumentiert, es sollte niemand mehr schwerfallen, das nachzuvollziehen. Wir hatten ein Kommunikationsproblem.

Ähnlich spektakulär wie die erste Inkarnation der Fuckparade, damals noch „Hateparade“ genannt (Love – Hate, Gegendemo – Gegensätze, you get the idea), wurde zwei Jahre später die Beteiligung von Wolle XDP aufgenommen, einem der Techno-Urgesteine aus Berlin. Nun wandten sich also auch schon die alten Kampfgenossen gegen die Love Parade – die 1999 schon sehr ausgefeilten Forderungen wollte wieder kaum jemand hören.

Erstaunlich naiv lesen sich heute aber auch unsere damaligen Pressemitteilungen. Der inzwischen im Zusammenhang mit Demonstrationskultur zum „Unwort“ verkommene Begriff „Party“ tauchte da noch regelmäßig auf. Natürlich war uns der Unterschied zwischen einer Party und einer Demo klar. Parties meldeten wir nicht an, wir machten sie spontan, ohne viel Streß, aber auch ohne viel politische Aussagen (außer der impliziten Subversivität, die zum Entstehen von „illegalen“ und „halb-legalen“ Parties führt). Hätten wir eine Party auf der Straße machen wollen, gäbe es sicher andere Wege als eine Demo, und sicher hätten wir sie nicht angemeldet!

Demos konnten auch Spaß machen, es kamen genau die Leute, mit denen wir auch gerne Parties feierten – aber in erster Linie bedeuteten sie Streß. Demos waren dafür da, sich politisch zu äußern, es war unser demokratisches Grundrecht und zugleich Pflicht.

Spätestens seit dem Gerichtsstreit von letztem Jahr ist dieser Umstand noch deutlicher. Zeitungen titelten „Verbot von Spaß und Fröhligkeit“ (taz), „Eine Frage der Partyzipation“ (Frankfurter Rundschau) oder „Schurkenstaat? Keine Demo mit Musik“ (JL Frontpage), wenn sie nicht gar das „Ende der Spaßgesellschaft“ proklamierten (doch halt, das war zwei Monate später, vor Bush’s Krieg in Afghanistan, Palästina und Kaschmir).

Die Themen der Fuckparade sind weitgehend geblieben, aber der Schwerpunkt hat sich massiv gewandelt. Wir haben die Love Parade reformiert, weiteres Love-Parade-Bashing ist für uns kein Thema mehr. Stattdessen konzentrieren wir uns mehr auf unsere eigentlichen Anliegen, die wir konkretisiert haben: Wir demonstrieren für das „Recht auf Party“, für ein erleichtertes Konzessionsverfahren für temporäre kulturelle Projekte, für eine Ausnutzung des Ermessensspielraums der Polizei im Umgang mit Parties, für eine verantwortliche Stadtplanung, die sich nicht nur an den Interessen von Großinvestoren orientiert, gegen die Ausgrenzung und Kriminalisierung (sub-) kultureller Minderheiten, gegen Sicherheitswahn und einen Verlust des Öffentlichen Raums, gegen eine Beschränkung von Demonstrationen auf klassische Protestelemente, gegen Nazis!

Am 13. Juli, als Demo, nicht als Straßenfest. Wir wollen politisch etwas verändern, nicht Würstchen und Luftballons verkaufen.

Martin Kliehm (DJ Trauma XP)
trauma@fuckparade.org