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Der folgende Artikel erschien am 6. Juni 2002 im „Nachtexpress“, der gemeinsamen Demo-Zeitung von Fuckparade und Nachttanzdemo street re.public Frankfurt am Main:

Clubsterben – Realität oder falsche Marketingstrategie?

In Berliner Druckmedien wird in letzter Zeit immer häufiger das Thema Clubsterben als akutes Hauptstadtproblem aufgegriffen und polemisiert. Als Grundlage werden häufig subjektive und für den nachtaktiven Berliner recht oberflächlich erscheinende Recherchen benutzt, die eher den Eindruck eines frühsommerlichen Berichtserstattungsnotstandes erwecken als den von gut recherchierter, objektiver und fundierter Journalistenarbeit. Eine reißerisch klingende Titelzeile macht eben noch lange keinen guten Artikel.

Was ist also nun wirklich dran am neuen Berliner Clubsterben? Was genau wird eigentlich mit dem Begriff „Clubsterben“ umschrieben? Der Begriff an sich wirft schon einige Fragen auf, die nach einer Definition verlangen.

Club:
[engl.] Vereinigung bestimmter Sozial- oder Interessengruppen zur Durchsetzung spezifischer Ziele, heute häufig zu gesellschaftlichen oder sportlichen Zwecken. (aus Meyers Taschenlexikon)
Sterben:
Tod. Schluß mit Spaß. Das Leben ist vorbei, die bewußt-erlebte Zeit abgelaufen. Ewiges Ruhen.

Mag sein, daß es in der etablierten Clubszene tatsächlich so ist, daß die Umsatzkurven bedingt durch sinkende Besucherzahlen bei steigenden Unkosten nach unten abknicken. Aus wirtschaftlichen Gründen muß in einem etablierten Club nun einmal auf Beständigkeit und Langlebigkeit hingearbeitet werden. Wie sonst, wenn nicht mit einem runden langlebig lukrativen Konzept, kommt man an die nötigen Gelder, um einen großen Club zu eröffnen? Der Club soll an thematisch sortierten Abenden immer eine ähnliche Atmosphäre ausstrahlen und dadurch bedingt ein bestimmtes Klientel anziehen, welches sich mit dem jeweiligen Abend identifiziert und sich wohlfühlt. Was bei diesen Konzepten oftmals fehlt, ist die Berücksichtigung der Weiterentwicklung in beidem, der Szene an sich und dem Besucher. Es gibt kaum ein Einschwenken auf neue Trends, man bleibt weiterhin beim bewährten Alten. Die Trendsetter verweigern sich den Trends. Seltsam, da viele der angesprochenen Berliner Clubs doch ihren Ursprung in der „Off-Szene“ haben.

Es scheint somit, daß das beschriebene Clubsterben eher die großen Projekte betrifft, welche auch in eigenem Interesse die Diskussion um selbiges in Gang gesetzt haben. Vielleicht auch motiviert durch die Angst vor steigenden Unkosten bei sinkenden Besucherzahlen und erschrocken über die unzähligen, in Halblegalität existierenden Projekte, welche z.T. extrem hohe Besucherzahlen haben.

Selbstverständlich gibt es Clubschließungen aus den verschiedensten Gründen hier in Berlin. Es stellt sich hier nur die Frage, ob die Clubs wie angedeutet wirklich ausschließlich der Willkür der Berliner Ordnungsorgane unterliegen und aufgrund widersinnig ausgelegter rechtlicher Regelwerke in die Illegalität verbannt und geschlossen werden, oder ob es die natürliche Evolution bzw. zum Teil auch eigenes Unvermögen innerhalb der Berliner Clubszene ist, die Clubs zum Schließen zwingt. Maria, WMF, 103, Glam, Deli, Goldmund-Lounge, Casino, E-Werk, Bunker, Zora … nur um ein paar Namen in willkürlicher Reihenfolge ins Spiel zu bringen. Nur am Rande: es soll auch das verfrühte Kündigen eines Miet- oder Nutzungsvertrags zum Verlust der Homebase geführt haben.

Ist die Berliner Polizei wirklich so hart und unnachgiebig im Auftreten wie in der Anfangsszene von Tattoo (ist übrigens meiner Meinung nach einer der schlechtesten neuen deutschen Filme der letzten Jahre und definitiv kein „Sehen-Muß“) dargestellt?

Teilweise schon. Veranstaltungen werden mit einem übertriebenen Aufwand an polizeilicher Macht geräumt, die Veranstalter finden sich in Handschellen abgeführt auf der Wache wieder; nicht kooperative Gäste werden ebenfalls in Sicherheitsgewahrsam genommen. Selbst auf Privatparties steht schon mal um 21:30 Uhr die grüne Minna vor der Tür und droht, die Veranstaltung zu räumen und die PA zu beschlagnahmen. Das Auftreten der Polizei scheint auch in Abhängigkeit zum jeweiligen Stadtbezirk zu stehen. Im Friedrichshain und in Prenzlauer Berg ist es wohl eher Mode, massiv aufzutreten, in Mitte, Wedding und Pankow erscheint die Polizei schon mal verständiger und ist eher geneigt, ihren Ermessensspielraum im Durchsetzen gesetzlicher Bestimmungen auszunutzen.

Oder wird in manchen Medienberichten aus Unkenntnis und Ignoranz lediglich der Versuch gestartet, das Berliner Nachtleben in ein neues, für den Betrachter von Innen eher befremdlich erscheinendes, Licht zu setzen?

Es macht sich im Übrigen kaum einer der Artikel über das Clubsterben die Mühe, neu entstehende Clubs, Wohnzimmer-Lounges oder Wochentagsbars zu erwähnen, so daß der schlecht informierte Leser wirklich den Eindruck erhalten muß, in Berlin gäbe es bald keine Avantgarde-Szene mehr, womit es einen wesentlichen Teils seiner Anzugskraft für internationale Club-Touristen verlieren würde.

Oberflächlich betrachtet mag das wirklich so erscheinen; die Realität sieht anders aus: Es findet eine Weiterentwicklung statt; einige Clubs schließen oder werden geschlossen – neue Clubs entstehen. Man fragt sich wahrlich, ob die betreffenden Schreiber überhaupt jemals Zeit gefunden haben, einen der erwähnten Clubs regelmäßig zu besuchen.

Die nicht etablierten „kreativen“ Veranstalter, welche teilweise auch in der etablierten Clubszene als Besuchermagnet fungieren, legen andere wirtschaftliche Maßstäbe – oftmals gepaart mit purem Idealismus – an. Die Veranstaltungsorte sind auf Kurzlebigkeit ausgelegt oder gar nur zum Zweck einer einzigen Veranstaltung in Beschlag genommen. Die einzig beständigen Faktoren, auf die man sich allerdings auch nach monatelanger Abwesenheit verlassen kann, sind hier die Qualität der Veranstaltung und die bevorzugte Musikrichtung.

Ohne Ortsbindung und durch die überschaubare Kostenlast kurzzeitiger Projekte kann man als Veranstalter Abende wesentlich flexibler und kreativer gestalten als ein fest verankerter Club, der lediglich den DJ / Liveact oder das Video / Dia wechselt. Logisch werden die Kosten nieder gehalten, weil die zum Teil historisch verankerten und daher antiquierten gesetzlichen Bestimmungen der Gastronomie zugunsten von kreativer Veranstaltungsgestaltung ignoriert werden.

Theoretisch kann jeder seine individuelle kreative Ader sprießen lassen und eine eigene Wohnzimmerbar aufmachen.

Die Organisatoren solcher Veranstaltungen werden aufgrund der Übertretung des Gaststättengesetzes unnötig kriminalisiert und betreiben ihre Clubs unter der ständigen Bedrohung des Aufgedecktwerdens. Werbung kann daher, wenn überhaupt, nur bedingt und zielgruppenorientiert erfolgen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn auch die Politik auf diese neuen Trends reagieren würde und unter anderem die antiquierte Gaststättenverordnung den aktuellen Gegebenheiten anpassen würde. Wen interessiert es, ob pro Quadratmeter Raum 0,05 oder 0,01 Toilette vorhanden sind? Und wer macht sich Gedanken darüber, ob vor einer Bar oder einem Club genügend Parkplätze zur Verfügung stehen? Interessant ist hier auch die Parkplatzablösesumme, die gezahlt werden muß, wenn aufgrund der Lage eines Clubs keine Parkflächen vorhanden sind: Man kauft sich durch Zahlung einer nicht unbeträchtlichen Summe einfach frei – an der lokalen nächtlichen Parksituation ändert sich nichts.

Trotz aller Widrigkeiten haben die teilweise unter dem Deckmantel einer Galerie oder eines Vereins betriebenenen halb-legalen Veranstaltungen einen unerwartet hohen Durchlauf an Gästen pro Abend.

Auch die „gestorbenen“ Clubs scheinen das langsam zu realisieren und handeln entsprechend. Die 103-Macher betreiben nach der Räumung eine hippe neue Lounge in der Kastanienallee; das WMF reagierte nach der Schließung einerseits mit Vermietung der ehemaligen Räume für Veranstaltungen (XMF) und andererseits mit einer Delokalisierung ihrer Veranstaltungen (z.B. Anfang Juni war die WMF-Lounge Teil der internationalen „In-Transit“-Veranstaltungsreihe im Haus der Kulturen der Welt, und die Maria veranstaltet Abende unter dem Pseudonym „Maria im Exil“ unter anderem im XMF). „Off-Szene“-Veranstalter, wie z.B. Querilla, lassen sich nach der Räumung nicht beirren und machen weiterhin ihre Veranstaltungen.

Man kann also schlußfolgern, daß es es kein Clubsterben in Berlin im dargestellten Sinn gibt. Die Szene hier entwickelt sich seit Jahren schon im Zuge einer künstlerisch-kreativen Evolution weiter, die etablierten Clubs haben den Zug verpaßt und jammern ihren Gästen nach, die auf der Suche nach kreativeren Veranstaltern sind.

Raum hierfür gibt es gerade in Berlin mit seinen leerstehenden Investitionsruinen genug, man muß ihn nur entsprechend nutzen – und nutzen dürfen, wozu die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen!

moog_t.
moog@fuckparade.org

Siehe auch z.B. Thomas Redekop in der taz vom 09.03.2002, „Vielfalt durch Kurzlebigkeit