|

Der folgende Artikel erschien am 28. August 2001 im „Nachtexpress“, der Demo-Zeitung der Nachttanzdemo street re.public in Frankfurt am Main:

Das Demonstrationsrecht der Hedonisten

Betrachtet man sich die Konstellation zwischen Nachttanzdemo street re.public auf der einen und Loft5 Parade auf der anderen Seite, so lassen sich interessante Parallelen zur Berliner Fuckparade und der Love Parade erkennen.

Seit ihrem Ursprung 1997 hat die Fuckparade die Situation der Sub- und Clubkultur im größeren Zusammenhang mit der Stadtentwicklung betrachtet, das Verschwinden des Öffentlichen Raums thematisiert: Wenn Clubs in der „Neuen Mitte“, dem Regierungsviertel Berlins, von der Schließung bedroht oder betroffen sind, dann findet das nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum statt. Studien sprechen von einem „erheblichen Aufwertungsprozeß“ des Viertels nahe des ehemaligen Mauerstreifens in den letzten zehn Jahren.1 In dem Areal zwischen Reichstag, Deutschem Theater und Friedrichsstadtpalast haben sich in den letzten Jahren zunehmend Nachrichtendienste wie dpa oder das ARD-Hauptstadtbüro nebst Schickeria-Gastronomie angesiedelt. Als Folge sind die Mietpreise von früher 6 auf 21 Mark pro Quadratmeter explodiert. Für „Mischkulturen“ ist auf der Spielwiese der Reichen und Schönen kein Platz: Gabba- oder Fetischparties im „Bunker“,2 alternative Kunst und Punkkonzerte im „Eimer“,3 Techno im „Tresor“ vis-à-vis des Bundesfinanzministeriums – solche Dinge stören das saubere Hauptstadtimage … und es könnte Kratzer in der Motorhaube des neuen Mercedes geben. An anderen Orten stehen die Clubs „Maria am Ostbahnhof“, „Ostgut“, „Deli“ und „WMF“ dem Bau eines Eisstadions und anderen Investorenplänen im Wege.4 Man fragt sich, warum dennoch so viele Frankfurter Kulturschaffende nach Berlin ziehen.

Nicht nur in Berlin gibt es Bestrebungen, unwillkommene Elemente nach Art des rechtskonservativen CDU-Bankrotteurs Landowskymit dem eisernen Besen“ auszufegen. Auch unsere Stadt soll schöner werden, damit sie Touristen und Bankern gefällt und Arbeitsplätze im Wirtschaftsstandort Frankfurt entstehen. Dabei übersehen PolitikerInnen gerne, daß die Städte kein Disneyland sind, sondern daß in ihnen auch junge Menschen leben, die sich dort wohlfühlen möchten. Zur Lebensqualität junger Menschen gehören gerade die Sozialisationsorte der Sub- und Clubkultur5 – aufgrund des schwierigen Verwaltungsrechts nicht immer legal, womit sie aus dem Schema „Service, Sicherheit, Sauberkeit“ der Städte hinausfallen. Die Szene wird zur „unerwünschten Randgruppe“, wie Junkies und Obdachlose. Eine Solidarisierung und Politisierung der Szene wie auf der Nachttanzdemo und Fuckparade, gegen die Schikanen von privaten Sicherheitsdiensten und Kameraüberwachung, ist die Konsequenz.6 Oder wie es DJ Spike vom Londoner Crapshoot Label ausdrückte: „Ich war nie sehr politisch. Aber wenn deine Parties ständig von der Polizei zerschlagen werden, dann wird es Zeit, auf die Straße zu gehen.“ – Eben die ganze Stadt, für alle!

Kommerzielle Bestrebungen, wie sie auf der Love Parade und auch der Loft5 Parade offenbar werden, konterkarieren politische Anliegen einer Demonstration.7 Mit der maßgeblichen Einbeziehung einer auf „Gewinnstreben ausgerichteten Kapitalgesellschaft8 (z.B. einer GmbH) in die Organisation verkommen Motti und Aussagen in der Regel zu leeren Phrasen, die niemand wehtun. Wenn für „verbesserte Rahmenbedingungen für Kulturschaffende9 eingetreten werden soll, muß man sich fragen lassen, wie diese denn beschaffen sein sollen? Wenn gleichzeitig betont wird, daß die Präsentation in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht („Für uns ist die Nachttanzdemo auf jeden Fall eine gute Promotion“; „Wir möchten uns durch die Nachttanzdemo präsentieren“; „Es ist ein Mix aus Spaß an der Musik und die Chance, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es ist wirklich super, daß man mit diesem Konzept auch noch etwas Gutes tut und sich für die Frankfurter Szene einsetzen kann.“),10 dann verkommt die Demonstration zur Schaubühne für kommerzielle Clubs wie Odeon, MTW und U60311 und ihre Magazine – die politische Aussage wird zur Floskel und zum Nebenakt.

Mit dieser Begründung wurde der Love Parade diesen Sommer der Demonstrationscharakter aberkannt,11 mangels differenzierter Gerichtsbeschlüsse wurde auch die Fuckparade zunächst mit ihr in einen Topf geworfen.12 Auch in den von Ordnungsamts-Seite z.T. wenig kooperativen Kooperationsgesprächen hat die Behörde bereits angedeutet, daß ihre Rechtsabteilung die ergangenen Beschlüsse auf ihre zukünftige Anwendbarkeit in Frankfurt prüfen wird.

Die Problematik besteht nun darin, daß kommerzielle Veranstaltungen wie die Love Parade und Loft5 Parade letztlich der Szene ihr grundgesetzlich geschütztes Demonstrationsrecht streitig machen. Dabei betrachten Behörden und Gerichte regelmäßig die politische Aussage als Nebenakt, da Musik und Tanz für sie nichts anderes als Spaß und Lebensfreude bedeuten.

Ebenso wie Kunst vermögen Demonstrationen aber alltägliche Dinge in einen neuen Zusammenhang zu stellen: Sitzen wird zur Sitzblockade, Lärm wird zur Protestform,13 die inhaltlichen Aussagen von Rap und Samples treten in den Vordergrund. Musik wird zur Meinungskundgabe im Zusammenspiel mit den klassischen Protest-Elementen der Transparente, der Flugblätter, der Demo-Zeitungen.

Auch die politische Artikulation auf Demonstrationen unterliegt Transformationen:14

„Unsere Kinder verwenden viel mehr Fantasie und Ideen darauf, was man praktisch tun könnte, um etwas bildlich darzustellen. Auf die Idee sind wir gar nicht gekommen. Wir haben eben nur Slogans gedichtet.15

Es wird Zeit, daß dies auch Justiz und Behörden erkennen. Aber auch die Szene muß sich ihrer politischen Ziele und ihrer Mittel als solcher bewußt bleiben. Demos dürfen auch Spaß machen, aber wir dürfen niemals zulassen, daß unsere Demos zum reinen Spaßgeschäft gemacht werden!

Quellen:

  1. 1 vgl. taz vom 20. Juni 2001, „Klein-Bonnum hinterm Reichstag
  2. 2 vgl. www.bembelterror.de/berlin/lastnight.html
  3. 3 vgl. taz vom 6. Juli 2001, „Der Eimer hat ausgetanzt“, und www.interfluggalaktika.de
  4. 4 vgl. Berliner Zeitung vom 29. Juni 2001, „Maria fliegt raus
  5. 5 In seinem Standardwerk „The Great Good Place“ nennt sie Ray Oldenburg „Dritte Orte“, die neben den Orten Wohnung und Arbeitsstelle von herausragender Bedeutung für das Sozialleben sind, um Freunde zu treffen und zu kommunizieren.
  6. 6 vgl. der Gießener Politologe Erik Meyer in der Frankfurter Rundschau vom 13. Juli 2001, „Eine Frage der Partyzipation“
  7. 7 Oberverwaltungsgericht Berlin über die „Weihnachtsparade“, OVG 1 SN 101.00
  8. 8 Verwaltungsgericht Berlin über die Organisatoren der Love Parade, die Planetcom GmbH, VG 1 A 195.01
  9. 9 Booklet der Loft5 Parade: „Nachttanzdemo Vol. 8 – The Politics of Dancing
  10. 10 ebd.
  11. 11 VG Berlin, a.a.O.; OVG Berlin 1 SN 54.01; BVerfG 1 BvQ 28/01
  12. 12 Eine ausführliche Dokumentation findet sich im Newsbereich von www.fuckparade.org
  13. 13 vgl. VG Frankfurt 5 G 4360/00(3)
  14. 14 Erik Meyer, a.a.O.
  15. 15 Kommentar der Mutter einer Genuaer Demonstrantin zur politischen Herangehensweise ihrer Tochter, taz vom 20. August 2001, „Wir haben nur Slogans gedichtet

Danke Jürgen Laarmann für die Titelinspiration.

Kontakt

Martin Kliehm (DJ Trauma XP)
berlin@fuckparade.org, www.fuckparade.org