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Parade vs. Parade

In einigen Medienberichten in jüngerer Zeit kam zum Ausdruck, daß unser Gang vor das Bundesverfassungsgericht ähnlich wie bei der Love Parade seinen Grund darin hätte, Müllkosten sparen zu wollen. Das ist Unsinn.

Bei der Love Parade fallen 256 Tonnen Müll an, die Entsorgung kostet 300.000 Mark. Ebenso gibt es Schäden an Vegetation und Bauwerken / Laternen.

Bei der Fuckparade liegen nur ein paar Flaschen auf der Demo-Strecke, und was auf dem Alexanderplatz liegen bleibt, kehren wir am Ende selbst an den Straßenrand. Bei uns fährt ein Wagen von der Stadtreinigung hinterher, das sind 2-3 Mann. Kosten für Müllentsorgung sind also kein Faktor. Auch kommt es bei uns nicht zu Zerstörungen, da wir bewußt nicht durch kaputtbare Natur fahren. Ich glaube, nach jeder Fuckparade erzählt uns die Polizei, daß an irgendeiner Stelle mal ein Autospiegel abgebrochen wurde, aber das war’s.

Wenn wir jetzt vor das Bundesverfassungsgericht gehen, stehen die Kosten völlig außer Frage. Uns geht es darum: Anders als die apolitische Love Parade setzen wir uns seit 1997 für politische Ziele ein, für eine gesunde Sub- und Clubkultur in lebenswerten Städten. Politik, Stadtentwicklung und die Existenz von Subkultur und Underground-Clubs, den „zweiten Wohnzimmern“ und Sozialisationsorten einer ganzen Generation, hängen sehr direkt zusammen. Wenn das Kulturhaus „I.M. Eimer“ in der Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte nach 11 Jahren geräumt wird, geschieht das nicht aus dem Bauch heraus. Auch die Clubs Maria am Ostbahnhof, Ostgut und Casino werden zu Spekulationsobjekten, wenn an ihrer Stelle ein Eisstadion gebaut werden soll.

Außerdem sind wir nicht grundsätzlich gegen die Love Parade, sondern gegen die Form, wie sie durchgeführt wird: Die Love Parade muß raus aus dem Tiergarten. Sie kann nicht als politische Demo durchgeführt werden, wenn sich die Veranstalter bewußt apolitisch äußern und ein kommerzielles Interesse im Vordergrund steht. Sie verdienen also eine Menge Geld mit der Love Parade, aber sie weigern sich stets, die Verantwortung (und damit auch Kosten) zu tragen. Es wäre an der Zeit, daß man sich bei der Love Parade mehr auf den ursprünglichen Spirit besinnt, die inhaltliche Kontrolle nicht den Sponsoren überläßt und die Verantwortung übernimmt, die einer solchen Großveranstaltung zukommt. Auch im Sinne einer echten Politisierung – gemeint sind damit nicht leere Worthülsen, Polit-Pop-Parolen oder egozentrische Behauptungen, man selbst sei eine Demonstration, sondern deutliche, wahrhaftige Statements zu Problemen aus dem Umfeld der Technokultur.

Anders als die Love Parade vertreten wir klare politische Ansichten, die auch konsequent kommuniziert werden, nicht zuletzt auf dem Flyer. Dennoch will uns die Versammlungsbehörde (und das Oberverwaltungsgericht Berlin in einer Aufhebung des Urteils des Verwaltunsgerichts Berlin) nicht als Demonstration zulassen, weil sie diese neue Demonstrationsform nicht als solche verstehen. Die Wahl der Mittel steht aber frei, und insbesondere haben ausgefallenere Mittel die Chance, sich im wahrsten Sinne besser Gehör verschaffen zu können. Mit den Musikwagen transportieren wir die Clubs und freien Parties, die stets um ihre Existenz kämpfen, auf die Straße. Kein Mensch käme auf die Idee, Landwirten oder Fernfahrern zu verbieten, mit ihren Treckern oder Brummies zu demonstrieren. Aber mit Techno verbindet man „im Regelfall“, wie das Oberverwaltungsgericht sagt, Unterhaltung und Tanz, was keine Demonstration qualifiziert.

Bei der Fuckparade liegt dieser Regelfall aber nicht vor. Hier kommt es durch den Kontext, die politischen Statements, die Transparente an den Wagen, den Flyer, die Medienberichte, die Wahl der Route und des Abschlußortes, die politischen Reime der MCss und Statements mittels Samples zu einer Soundpolitisierung, wodurch das Gesamtbild einer politischen Demonstration geprägt wird.

Nun schlägt die Versammlungsbehörde vor, wir könnten ja eine Sondernutzungsgenehmigung beantragen, also ein Straßenfest machen. Dadurch würde aber das politische Anliegen verwässert, weswegen das für uns keine Option ist. Durch ein Straßenfest gibt es auch erhebliche Gebühren, die an die Behörden zu entrichten sind, wodurch uns faktisch ein öffentliches Vortragen unseres Anliegens unmöglich gemacht würde. Künftig gäbe es also ein Demonstrationsrecht nur noch für reiche Konzerne?

Die Bedeutung eines differenzierten Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird schon heute deutlich: Nicht nur Love Parade und Fuckparade wurde der Demonstrationsstatus aberkannt, sondern auch der Synchron-Parade in Hamburg, die für das Demonstrationsrecht der Love Parade auf die Straße geht, und der sogenannten Mini-Love-Parade in Leipzig. Wird dieser neuen Demonstrationsform, mit der es im Gegensatz zu klassischen Demos und Ostermärschen gelingt, wieder Massen zu mobilisieren und potenziell zu politisieren, also generell eine Absage erteilt, so ist bundesweit den Versammlungsbehörden Tür und Tor geöffnet, alles abzulehnen, was von der Wahl der Mittel im wahrsten Sinne des Wortes aus der Reihe tanzt: DGB-Job-Parade in Schwerin, Hanfparade, Christopher Street Day, Nachttanzdemo, Skater-Demos … Auch würde eine inhaltliche Bewertung in Form einer subjektiven Gewichtung vorgenommen, ob nun politische Anliegen oder nur Spaß im Vordergrund stünden. Auch damit gäbe es einen Freibrief, jede mißliebige Versammlung abzulehnen.

Bei den Mitte der Woche erwarteten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geht es also nicht um den Müll oder kaputte Laternen, um Love Parade oder Fuckparade – es geht, so dramatisch das klingt, um die Demonstrationsfreiheit! Wir wenden uns gegen einen Mißbrauch des Demonstrationsrechts für kommerzielle Zwecke, gerade darum ist ein differenziertes Grundsatzurteil zu dieser Thematik – anders als der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts – von enormer gesellschaftlicher Bedeutung.

Kontakt

Martin Kliehm (DJ Trauma XP)
berlin@fuckparade.org, www.fuckparade.org