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Versammlungsbehörde reicht Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein

Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 28. Juni 2001 (VG 1 A 166.01) der Fuckparade die Versammlungseigenschaft zuerkannte, hat die Versammlungsbehörde heute Beschwerde gegen den Beschluß beim Oberverwaltungsgericht Berlin eingereicht (OVG 1 SN 53.01).

Die Versammlungsbehörde unterstellt uns in ihrer Begründung, wir beabsichtigten primär eine Musikveranstaltung und keine Meinungskundgabe; die Fuckparade sei als rein musikalische Abspaltung von der Love Parade hervorgegangen. Auch die Verteilung von „kläglichen 20.000“ Handzetteln würde daran nichts ändern. Die Flyer-Verteilung sei ein „völlig untergeordneter Nebenakt“, doch würde ihr Wegfall „den Sinn und das Erscheinungsbild der Veranstaltung“ verändern. Die Behörde meint, daß zu prüfen sei, ob „bei Wegfall der einen oder anderen Komponente noch von einer identischen Veranstaltung“, also noch von einer Demonstration statt einer Ansammlung, ausgegangen werden könne. Überdies spräche die Beschreibung im Internet nur von Routen und der Folge der Fahrzeuge.

Diese Ausführungen sind falsch, die vertretene Annahme widersprüchlich. Ein „untergeordneter Nebenakt“ kann bei seinem Wegfall nicht das Erscheinungsbild einer Veranstaltung verändern; tut er es doch, ist es kein Nebenakt. Man stelle sich eine DGB-Kundgebung ohne Redner vor: Auch hier fiele nur eine Komponente weg, doch würde sie das Erscheinungsbild entscheidend verändern. Ebenso wäre die Fuckparade nicht das Gleiche ohne die beiden untrennbaren Wurzeln, der politischen Aussage und der Soundsysteme als Träger verdrängter Subkulturen, und für uns undenkbar.

Die Entstehung der Hateparade / Fuckparade haben wir seit 1997 in zahlreichen Interviews dargelegt und ist z.B. in der F.A.Z. vom 10. April 2001 nachzulesen:

Im Jahr 1997 spalteten sich Müller, Kliehm und einige hundert weitere Techno-Fans von der Love Parade ab. Seitdem demonstrieren sie jährlich am gleichen Tag wie die Love Parade – nur im Ostteil der Stadt. […] Sie demonstrierten gegen die „sauberen Innenstädte“, in denen sich niemand mehr wohlfühlen könne. Auch „Nazis raus“ stand auf den Flyern. „Außerdem standen wir für Underground und für nichtkommerzielle Veranstalter“, sagt Müller.

Oder in der Zeitschrift des Deutschen Bundestages, Das Parlament, Nr. 22/23 vom 25. Mai 2001:

Die erste Aktion 1997 entsprang der Wut und der Trauer über die polizeiliche Schließung des Underground-Technoschuppens Bunker. Kliehm: „Das Aus des Bunkers symbolisierte den beginnenden Ausverkauf des Scheunenviertels und des Zentrums Berlins an die Neue Mitte, und dagegen wollten wir Front machen.“ Und gegen den kommerziellen Verrat des „Lebensgefühls Techno“ durch die Love-Parade: „Was haben denn Sponsoren wie die Badische Beamtenbank oder RTL mit Techno zu tun?“

Der Schwerpunkt der Internetpräsenz der Fuckparade (www.fuckparade.org) liegt gerade auf der inhaltlichen Darstellung unserer politischen Ziele. So dokumentiert der News-Bereich ausführlichst mit über hundert Links zu aktuellen Zeitungsartikeln über Fuckparade und Love Parade sowie weiterführenden Artikeln den derzeitigen Stand der Diskussion. Die Flyer von 1997-2001 mit ihren politischen Aussagen nehmen einen weiteren großen Teil der Site ein. Hingegen steht für die von der Behörde alleine betrachtete Wagenliste ein einfaches Programm zur Verfügung, das uns ohne hohen Pflegeaufwand eine schnelle Übersicht ermöglicht.

Es wurde in zahlreichen Artikeln dokumentiert, was die Fuckparade seit Jahren anprangert: Die zunehmende Verdrängung der vielfältigen Formen von Kunst, Sub- und Clubkultur aus dem Zentrum der Hauptstadt als Folge einer veränderten Stadtentwicklung. Und es ist kein deutsches Phänomen alleine, wir vernetzen uns mit den Kulturschaffenden anderer Länder: 1994 wurden in Großbritannien mit dem Criminal Justice Act jegliche Versammlungen zu „repetitiver Musik“ verboten. Am 26. Juni 2001 wurde aufgrund des öffentlichen Drucks das „Anti-Rave“-Gesetz von der französischen Nationalversammlung in zweiter Lesung abgelehnt: Es ist heute umso wichtiger, für unsere Rechte zu demonstrieren und eine breite Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren.

Wir denken, in einer solchen Situation wäre es angebracht, eindeutige politische Signale durch Innensenator Körting (SPD) zu setzen, sich von der umstrittenen Einstellung seines Amtsvorgängers zum Demonstrationsrecht zu distanzieren und endlich konstruktive Kooperationsgespräche mit Versammlungsbehörde und Polizei aufzunehmen, statt dies durch den Gang durch die Instanzen weiter zu verzögern.

Ausführlich siehe auch:

Kontakt

Martin Kliehm (DJ Trauma XP)
berlin@fuckparade.org, www.fuckparade.org