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Zusammenfassung: Ablehnungsschreiben des Polizeipräsidenten in Berlin vom 21. Juni 2002. Nach Auffassung der Versammlungsbehörde ist die Fuckparade 2002 keine Demonstration, weswegen sie unsere Anmeldung ablehnt.

Der Polizeipräsident in Berlin
Landeskriminalamt
Referat Ordnungsbehördlicher Staatsschutz

Berlin, den 21.06.2002
Geschäftszeichen LKA 521 – 07702/130702

Anmeldung einer öffentlichen Veranstaltung als Sternmarsch auf drei Routen für den 13. Juli 2002 zum Thema: „Fuckparade 2002“ für das „Recht auf Party“

Ihr Schreiben vom 01. Juni 2002

Sehr geehrter Herr Kliehm,

das oben genannte Schreiben kann ich nicht als Anmeldung einer Versammlung nach § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz – VersG – in der Fassung vom 15. November 1978 (BGBI. I S. 1790), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBII S. 1818), entgegennehmen und bestätigen.

Der von Ihnen beschriebene Sternmarsch auf drei Routen mit dem Thema: „Fuckparade 2002“ ist keine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel / Aufzug im Sinne des § 14 VersG, sondern eine Veranstaltung, die im Wesentlichen durch ihren „Straßenfestcharakter“ geprägt ist. Der Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes ist demnach nicht eröffnet und die Versammlungsbehörde nicht zuständig.

Die vorbezeichnete, über den Gemeingebrauch von öffentlichem Straßenland hinausgehende Veranstaltung, unterliegt somit der Erlaubnispflicht durch Straßen- und Straßenverkehrsrecht.

Begründung:

Bei Eingang einer Versammlungsanmeldung hat die Versammlungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob es sich bei der beabsichtigten Veranstaltung überhaupt um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Grundgesetz (GG) bzw. des VersG handelt. Ein entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung einer Versammlung von anderen öffentlichen Veranstaltungen ist hierbei insbesondere die Art der Durchführung der beabsichtigten Veranstaltung. Hierunter ist im Wesentlichen zu verstehen, welcher optische Eindruck durch die Gesamtveranstaltung oder durch besonders hervorgehobene Veranstaltungsteile bei einem unbefangenen Dritten erzeugt wird. Hat z.B. der Unterhaltungscharakter übergeordnete Bedeutung und ist das für eine Versammlung wesentliche Element der Meinungskundgabe und Meinungsbildung nicht oder nur noch in untergeordneter Form wahrnehmbar, darf nicht mehr von einer Versammlung i.S.d. versammlungsrechtlichen Definition ausgegangen werden. Dies ist vorliegend der Fall.

Wie das Oberverwaltungsgericht Berlin in seiner Entscheidung (OVG 1 S 11.01 / VG 1 A 166.01) vom 06. Juli 2001 zur Fuckparade 2001 ausgeführt hat, ist der Versammlungsbegriff zwar im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes grundrechtsfreundlich auszulegen und anzuwenden.

Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt Versammlungen und Aufzügen der besondere verfassungsrechtliche Schutz aber nur zu, wenn sie „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ sind (grundlegend: BVerfGE 69, 315 [343]). Denn Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sollen das „ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage)“ schützen (BVerwGE 56, 63 [69]; 82, 34 [38f.]). Voraussetzung ist daher eine auf diesen Zweck gerichtete Verbundenheit der Teilnehmer. Erforderlich ist eine Zweckverbundenheit, die auf gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung (Meinungsäußerung und Meinungsbildung) gerichtet ist. Dem gemäß scheiden Volksfeste und andere Volksbelustigungen sowie die in § 17 VersG weiter genannten Veranstaltungen regelmäßig aus, weil dabei die gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung nachrangig ist. Anders kann im Einzelfall nur dann zu entscheiden sein, wenn die Veranstaltung trotz ihres äußeren Erscheinungsbildes als Volksfest oder Vergnügungsveranstaltung durch eine kollektive Aussage geprägt ist. Zu einer solchen kollektiven Meinungskundgabe gehört aber mehr als die bloße Zurschaustellung eines Lebensgefühls, das lediglich durch bestimmte gemeinsam gehörte Musik und Tanz geäußert wird.

Denn in diesen Fällen wird das Zusammentreffen der Teilnehmer durch nichts anderes als durch den Wunsch nach gemeinsamer Unterhaltung bestimmt. Solche durch andere Grundrechte (Art. 2 GG) geschützte Veranstaltungen fallen nicht mehr unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Versammlungsfreiheit gehört ebenso wie die Meinungsfreiheit zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens und ist für die freiheitliche und demokratische Staatsordnung konstituierend, gerade deshalb, weil sie als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe zu verstehen ist (vgl. BVerfGE 69, 315 [344f.]). Aus dieser Funktion der Versammlungsfreiheit im demokratischen Gemeinwesen als Mittel zur gemeinsamen körperlichen Sichtbarmachung von Überzeugungen und Meinungen folgt der hohe Rang des Grundrechts, dem gegenüber Rechte anderer (z.B. von Anwohnern, Verkehrsteilnehmern und Gewerbetreibenden) zurücktreten müssen. Dieser hohe Stellenwert des Versammlungsgrundrechts verbietet es zugleich, dessen Schutzumfang weiter auszudehnen, als der Zweck der Schutzgewährung es erfordert. Würde man auch die bloße Zurschaustellung eines durch Musik und Tanz ausgedrückten Lebensgefühls ausreichen lassen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass der hohe Rang der Versammlungsfreiheit im Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft verloren ginge.

Nach diesen Grundsätzen kann die „Fuckparade 2002“ wie auch schon die „Fuckparade 2001“ nicht als Versammlung angesehen werden, weil die Veranstaltung nach dem Gesamteindruck den Charakter einer rein unterhaltenden, öffentlichen Massenparty trägt, während das Element der Meinungskundgabe völlig in den Hintergrund tritt.

Dies ergibt sich schon aus den äußeren Bedingungen: Sie erwarten ca. 10.000 Teilnehmer, die auf den vorgesehenen Wegstrecken von ca. 40 bis 50 Aufzugswagen begleitet werden, von denen aus lautstark Technomusik gespielt werden soll. Dabei sollen zahlreiche Discjockeys tätig werden. Das äußere Erscheinungsbild ist dementsprechend von tanzenden und sich fortbewegenden Anhängern unterschiedlicher Richtungen der Techno-Musik geprägt. Dies vermittelt den Eindruck einer großen Feier oder Tanzveranstaltung, bei der es dem einzelnen im Wesentlichen darum geht, sich zu vergnügen oder seinem momentanen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Mit Musik und Tanz assoziiert der Außenstehende im Regelfall keine Meinungsäußerung, sondern schlicht und einfach Spaß und Unterhaltung für die Teilnehmer. Zwar sind Tanz, musikalische Darbietungen und Aktionen von Live-Künstlern als Meinungsäußerungen durchaus denkbar. Dies gilt aber nur dann, wenn diese Handlungsformen gerade als Mittel zur Meinungsäußerung eingesetzt werden und die Meinungskundgabe im Verhältnis zu anderen Zwecken erkennbar im Vordergrund steht. Dies kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil nicht erkennbar ist, dass das Spielen und Hören von Techno-Musik in ihren unterschiedlichen Richtungen und Tanz zu entsprechenden Klängen etwas anderes ausdrückt als die Begeisterung für diese Musik und ein allgemeines Lebensgefühl.

Eine andere Beurteilung ist in diesem Fall ebenso wenig geboten durch die von Ihnen angeführte Verwendung von Transparenten (Banner), Flugblättern (Flyer), einer Demo-Zeitung, der Wahl der Route, Öffentlichkeitsarbeit (Interviews, Medienpräsenz), einer Website, dem politischen Dialog mit den Verantwortlichen, sowie nicht zuletzt Elementen der Clubkultur (DJs, MCs, Live-Künstlern, Musik, Sprechgesängen, Samples). Das Einbringen aller dieser Mittel ändert nichts an dem Gesamtgepräge der Veranstaltung als Massenspektakel oder Volksbelustigung.

Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG, dass bei Ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgabe erfolgt, insbesondere wenn der Aspekt der Meinungskundgabe wie auch im Fall der “Fuckparade„ gegenüber dem übrigen Erscheinungsbild der Veranstaltung in den Hintergrund tritt (BVerfGEBvQ 28/01).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Er ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift bei dem Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, unter Angabe des Geschäftszeichens zu erheben. Es wird darauf hingewiesen, dass bei schriftlicher Einlegung des Widerspruchs die Widerspruchsfrist nur dann gewährt ist, wenn der Widerspruch innerhalb dieser Frist eingegangen ist.

Anordnung der sofortigen Vollziehung:

Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung vom 19.03.1991 (BGBI. I S. 686), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBII S. 3987), wird die sofortige Vollziehung des vorstehenden Bescheides angeordnet. Wegen der begründeten unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann der Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites nicht abgewartet werden. Sie sind somit verpflichtet, auch dann die Auflagen einzuhalten, wenn Sie von dem vorstehenden Rechtsbehelf Gebrauch machen.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht Berlin auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen.

Mit freundlichen Grüßen,
Im Auftrag
Galla