Kommentierte Wegstrecke der Fuckparade 2006
Versammlungsort: Bunker, Reinhardtstraße, Berlin-Mitte
Aufbau ab 13:00 Uhr, Kundgebungsbeginn 14:00 Uhr, Zugbeginn 15:00 Uhr, Eintreffen am Ort der Abschlußkundgebung gegen 19:00 Uhr, Ende gegen 22:00 Uhr.
Reinhardtstraße
Der Demonstrationszug wird am Bunker in der Reinhardtstraße mit einer Auftaktkundgebung beginnen, inmitten der „neuen“ Mitte mit seinen repräsentativ erscheinenden, aber leerstehenden Bürogebäuden. Ein Musterbeispiel für die Widersinnigkeit des Subventionsbau- und Mietpreiswahns am Potsdamer Platz. Während sich rings um den Bunker die Mietpreise „lediglich“ vervierfacht haben, liegen die Forderungen z.B. für das ehemals von der Gewerkschaft ver.di gemieteten Gebäudes an den Parkkolonnaden bei € 23.000 – täglich!
Selbst in mitte-nahen Bezirken wie Moabit sind Mieten für Büroräume von ca. € 20 pro Quadratmeter inzwischen gang und gäbe, eindrucksvoll angeführt vom Innenministerium, das mit einer monatlichen Kaltmiete von € 684.352 dem Steuerzahler über die nächsten 30 Jahre zur Last fallen wird. Da baut man doch lieber neu, anstatt den existierenden Bürokomplex weiter zu nutzen (siehe Spiegel Nr. 26 vom 26.06.2006). Insgesamt werden vier neue Ministerial-Gebäude geplant, und das trotz leerer Kassen und ausreichend Leerstand in Berlin.
Der Bunker, 1996 als Club wegen angeblicher Baufälligkeit polizeilich geräumt und versiegelt, 2006 als privates, nicht allgemein zugängliches Kunstmuseum einer Privatperson aus dem Architekturumfeld wiedereröffnet. Einzige auffällige bauliche Veränderung: Ein 1.000 m² Penthouse als Wohnung oben auf dem Dach des „baufälligen“ Gebäudes.
Interessanterweise wurde gegenüber des Bunkers ein Teil der öffentlichen und zudem geschützten Grünfläche in Bauland für die grünen-nahe Böll-Stiftung umgewidmet. Dort wird die Stiftung demnächst einen eigenen Glasbau hochziehen und sicher wieder Konferenzen über Probleme von Innenstädten abhalten.
Friedrichstraße
Von der Reinhardtstraße geht der Demonstrationszug weiter in die Friedrichstraße. Auch hier dominieren leerstehende Bürogebäude und subventionierte Investitionsleichen das städtische Bild, reichlich ausgestattet mit Überwachungskameras, die das tagtägliche Leben auf den Straßen filmen und ganze Datenspeicher mit mehr oder weniger nutzbringenden Bildern füllen. Wenn das das neue Berlin sein soll, ist es keine Vision einer Stadt, in der wir gerne leben wollen.
Der Tränenpalast in der Friedrichstraße fällt nun endgültig. Ein Hamburger Investor, der bereits zahlreiche Berliner Immobilien aufgekauft hat, u.a. das Kulturprojekt Haus Schwarzenberg, hat mit Hilfe des Senats eine Baugenehmigung bekommen und daraufhin einen satten Preis für das Grundstück bezahlt. Allerdings gilt das Grundstück in Fachkreisen wegen des sumpfigen Untergrundes als unbebaubar, aber was ist schon Kultur und Geschichte gegen die Zahlung von Geld in einen Landeshaushalt, der hoffnungslos überschuldet ist?
Das Hotel unter den Linden wurde ebenfalls abgerissen; der letzte kleine Stadtplatz in der Friedrichstraße, der noch zu erhalten möglich gewesen wäre. Auch hier hat eine bekannte Immobilienfirma die Finger im Spiel, die ebenfalls Gelder in das Säckel des Landes bringt, um die Risikoabschirmung, sprich die Mietsicherheit für Anleger zu finanzieren.
Wozu eigentlich noch öffentliche Plätze, wenn man durch subventionierten Büro- und Geschäftsleerstand mehr Gelder am Finanzamt vorbei in schwarze Taschen spülen kann?
Die ehemalige Grenze zwischen Ost- und Westberlin, zwischen Kommunismus und Kapitalismus, am geschichtsträchtigen Grenzübergang Checkpoint Charlie wird passiert, erkennbar bald nur noch durch die Horden von Touristen, die Checkpoint Charlie immer noch anzieht. Auch hier gibt es hochpreisliche „Stadtnutzungskonzepte“, geplant um sogenannte „Mauerkonzepte“ herum, die ein weiteres Stück Ost- / Westgeschichte in Vergessenheit drängen werden.
Gerade im Zuge der Grenzöffnung hat sich viel in der Veranstaltungs- und Clublandschaft Berlins getan. Die faszinierende Vielfalt der Kunst-, Kultur- und Musikinstitutionen, die zu jener Zeit eröffnet wurden, schuf das Bild des „Neuen Berlins“, das unzählige kreative Menschen in seinen Bann und in diese Stadt zog. Aufgrund der unterschiedlichsten alternativen Ideen entstand eine der einzigartigsten zentral gelegenen, multikulturellen Kunstlandschaften der Welt. Auch jetzt lockt diese Berliner Subkultur viele Touristen in die Stadt. Die Friedrichstraße und gerade Checkpoint Charlie sind Anziehungspunkte für Touristen aus aller Welt. Und genau diese Touristen wollen wir auf uns, auf den anderen Teil Berlins, aufmerksam machen. Denn unsere Kultur ist akut bedroht.
Ostwärts geht es in die Kochstraße, vorbei an prägenden Berliner Medien wie taz und Springer. Gerade die konservative Springerpresse bietet dem von uns kritisierten kommerziellen Mainstream eine mediale Plattform, gleichzeitig polarisiert sie in der gewohnten Doppelmoral gegen die Basis, die Subkultur. Der Leserschaft wird ein Horrorszenario einer vermeintlich nur auf Party und Drogenkonsum fixierten Jugendkultur vorgesetzt. Ein sehr realitätsfernes Bild, welches dennoch die öffentliche Meinung prägt.
Kreuzberg
Die Demonstration folgt dem Verlauf der Kochstraße (via Oranienstraße) bis hin zur Adalbertstraße. In der Bundesdruckerei an der Oranien- / Ecke Alte Jakobstraße werden die neuen biometrischen Pässe hergestellt. Eine weitere Ausprägung von Überwachung und Sicherheitswahn, welche soziale und kommunikative Werte ersticken.
Am Oranienplatz befindet sich das ehemalige Trash. Das bis auf einen Kaufladen im Erdgeschoß leerstehende Gebäude wurde nach der Räumung der Yorckstraße 59 im letzten Jahr kurzzeitig von den auf die Straße gesetzten BewohnerInnen besetzt und schnell wieder polizeilich geräumt. Die ehemaligen BewohnerInnen der Yorckstraße 59 wurden durch die Nutzung leerstehenden Wohnraumes am Ende nicht nur obdachlos, sondern auch überflüssigerweise kriminalisiert.
Der Zug biegt nordwärts in die Adalbertstraße ein und passiert die Waldemarstraße, in der gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften auf Druck des Senats ihre Häuser erst kürzlich an Investoren verkaufen mußten, um eine gesellschaftliche Umstrukturierung des Straßenzuges zu forcieren. Am Bethaniendamm steht das Künstlerhaus Bethanien, welches noch immer „vorübergehend“ von ehemaligen Yorckstraße 59-BewohnerInnen teilbesetzt wird (New Yorck). Die New Yorcker haben die „Privatisierung“ des Künstlerhauses Bethanien, einem Gebäude in öffentlicher Hand, mit Hilfe eines Bürgerbegehrens verhindert.
Ist Privatisierung, das Zauberwort zur Sanierung öffentlicher Kassen, aber wirklich ein Weg? Wo fließt denn das eingenommene Geld hin? Kita-Gebühren werden erhöht, Studiengebühren werden eingeführt, die Verschuldung des öffentlichen Landeshaushalts nimmt weiter zu. Wo ist denn das schwarze Loch, in dem all das eingenommene Geld verschwindet? Privatisierung öffentlicher Gebäude und Unternehmen, wie z.B. der Berliner Wasserbetriebe, nimmt der Politik jeden noch vorhandenen Handlungsspielraum. Warum kann der Berliner Senat Immobilien und Werte nicht selbst nutzen oder gar kostenneutral zur Zwischennutzung freigeben? Damit wären solche Gebäude und Räume für den Senat auch in Zukunft nicht verloren und würden als Kulturzentren weiter Touristen in die Stadt ziehen.
Aber nein, die Tendenz des Senates ist mitspielen im globalen Monopoly der Städteplaner und -bauer: Kauf und Verkauf von Immobilien, und ganz vorn der Verkauf öffentlicher Liegenschaften, Wohnungsbaugesellschaften und öffentlicher Unternehmen.
Das bestimmende Thema dieser Monate in Berlin ist die Sicht internationaler Fonds: Der Markt in Berlin ist „unterbewertet“, d.h. im internationalen Vergleich wird man in Zukunft in Berlin noch Mieten erzielen können, die in London, Paris und anderen Metropolen längst üblich sind. Darum drängen internationale Fonds auf den Berliner Markt, und das geht dann so: Billig kaufen, 20% Eigenkapital einsetzen, komplette Unternehmen re-organisieren, Mitarbeiter entlassen, „verschlanken“, konsolidieren, und Bereiche der Verwaltung auf globaler Ebene auslagern, natürlich in Billiglohnländer. Schließlich wird das Eigentum geteilt und die gut verwertbaren Teile weiterverkauft. Und innerhalb von drei Jahren kann der Eigenkapitalanteil um ein Vielfaches gesteigert werden.
Ein gutes Beispiel stellt gerade das Funkhaus an der Nalepastraße: Öffentliche Liegenschaft für € 350.000 verscherbelt, vom Investor geteilt und sofort einen Teil für 4,7 Millionen Euro weiterverkauft … Seltsam, daß der Senat nicht selbst so gewinnorientiert handeln konnte.
Berlin verkauft sich aus. Darunter leidet unter vielem anderen ein Teil des wunderbaren Flairs der Stadt, seine bunte Subkultur. Denn dieser sogenannte „neoliberale Stadtumbau“, also der Umbau der Stadt an sich in der Standortkonkurrenz, die Renaissance der Innenstädte und wie immer dieser Prozeß beschrieben wird. Leider ist die Kehrseite der Verfall, der Leerstand. Denn dort wo die erwarteten Mieten von Investoren nicht zu erzielen sind, bleibt subventionierter Leerstand und Verfall übrig, und dort wo Mieten steigen, werden eingesessene Mieter verdrängt.
Im gleichen Maße verschwinden potentielle Räume der Subkultur. Ursache ist nicht einfach Kauf und Verkauf, sondern Spekulation. Genau da müssen wir Protest entgegenhalten. Die Besetzung von Räumen, der gewaltlose Widerstand ist die einzige Antwort, um diese Spirale zu durchbrechen. Die Stadt ist nicht der Ort, um aus Geld mehr Geld zu machen, sondern um darin zu leben, kreativ zu sein, sich zu entfalten. Im Spreeraum ist diese Entwicklung derzeit noch offen, Stadtbrachen werden spontan zu Partys, Veranstaltungen und Musik genutzt. Das steht hier auch in der Tradition des Ortes links und rechts der ehemaligen Mauer.
Im Westen die Hausbesetzerszene und unkommerzielle soziale Projekte wie z.B. der Kinderbauernhof und im Osten die sogenannte Moderne, der industrielle Wohnungsbau zu preiswerten Mieten und mit Licht, Luft und Sonne.
Darum kann das Bethanien unter der Initiative der Yorck-59 auch als Beispiel stehen, wie es anders gehen kann: Leere Subventionsruinen besetzen, deren Nutzung öffentlich machen, Protest organisieren, Politiker unter Druck setzen und Vorrechnen, daß bei einem Verkauf immer nur einer verdient: der Eigentümer.
Aber nicht genug damit: In der unmittelbaren Nähe am Beginn des Engeldamms befindet sich der Schwarze Kanal e.V., ein seit 1992 bestehendes, kulturell sehr aktives, alternatives Wohnprojekt, welches akut von Räumung und Verdrängung bedroht ist.
Diese wachsende Protestkultur wird von den Medien gerne negativ bewertet, aber ist sie nicht die langfristige Chance für den öffentlichen Spreeraum?
Friedrichshain
An der Köpenicker Straße zieht der Demonstrationszug nach Westen, um dann nordwärts über die Michaelskirchbrücke auf die Holzmarktstraße zu treffen. Im Umkreis liegen und lagen diverse Veranstaltungsorte, u.a. die Bar 25, begonnen als „Vereinsheim an der Spree“ und nach und nach in die Legalität überführt, sowie die Maria, welche das halb-legale Deli im Zuge der Neugestaltung Friedrichshains verdrängte.
Nach der Verdrängung der legalen Clubs Ostgut, Casino, Nontox, sowie der alten Maria am Ostbahnhof vom Gelände des ehemaligen Berliner Ostgüterbahnhofs durch Investorenpläne der Berlin Arena / Anschütz Entertainment Group, bleibt neben einer eingezäunten, öden Mondlandschaft die Maria an der Schillingsbrücke als einziger legaler Club im Umkreis über.
Für die großspurig angelegten Pläne der Arena / Anschütz-Gruppe finden sich keine finanzkräftigen Partner, die sich dem Investitionsrisiko weiterer leerstehender Bürokomplexe aussetzen wollen. Das bedeutet wohl, daß Berlin noch eine gute Zeit mit dieser unansichtlichen Brache leben muß. Aber die Arena kommt unaufhaltsam, ganz bestimmt. Immerhin ist der damalige Stadtentwicklungs-Senator extra auf Kosten des Steuerzahlers nach Amerika geflogen, um sich die amerikanischen Standards des Brandschutzes anzusehen mit dem Ziel, sie auch hier anzuwenden. Wieder Geld für den Investor gespart.
Aber nicht, damit der das Geld dann in die East-Side-Gallery investieren kann oder in einen Spreeuferweg oder was immer für die öffentliche Nutzung der umliegenden Gegend erforderlich wäre. Nein, jetzt wird für ihn sogar ein Teil der Mauer entfernt, Berliner Geschichte, um den Blick für die Arena auf die Spree freizugeben.
Nebenprodukt dieser Arena-Unterstützung wird sein, daß mit ihr Konkurrenz zu anderen großen Event- und Sporthallen geschaffen wird. Sie können dann nicht mehr ausgelastet werden und werden weiter abhängig von öffentlichen Subventionen. Macht aber nichts: privatisieren wir eben weiter. Ein paar Liegenschaften sind ja noch über zur weiteren Finanzierung der leeren Stadtkassen. Die Politik muß ja immer nur bis zur nächsten Wahlperiode kaschieren, danach sind die anderen dran.
Im Umkreis der Anschütz-Arena waren neben den genannten Veranstaltungsorten bereits in den Neunzigern verschiedene Clubs beheimatet, z.B. das Planet, der U-Club, die Praxis Dr. McCoy unter dem Gebäude der BSR sowie das WTF auf der Holzmarktstraße. Alle diese Clubs machten neuartige und innovative musikalische und künstlerische Ausdrucksformen bekannt, die Berlin einen weltweiten Ruf als kreativen Ursprungsort der elektronischen Musik-Szene geschaffen haben. Mußten all diese Clubs hier wirklich verdrängt werden?
Mitte
Von der Holzmarkstraße geht es rechts in die Alexanderstraße, vorbei an der neu entstehenden Einkaufsmeile, auf der sogenannten „Banane“ des Berliner Ostens. Ein weiteres Gebäude mit einigen Quadratkilometern Bürofläche, deren weitgehenden Leerstand wir hiermit prognostizieren wollen. An diesem Bauprojekt sieht man deutlich, daß das Wort „Stadtplanung“ hier in Berlin mit Planung nur insofern zu tun hat, als daß Verwertung von Räumen genehmigt wird, nicht aber die Nutzung von Räumen.
Der geplante Büroturm ist als Teil der neuen Berliner 10-zinkigen „Hochhauskrone“ um den Alexanderplatz gedacht, welche durch die Neugestaltung des Platzes nach Abriß der vorhandenen Gebäude entstehen soll. Glücklicherweise gibt es hierfür derzeit keine finanziellen Mittel. Hinter dem Neubau verschwinden der Limeclub und das Golden Gate. Beide Clubs sind durch den Neubau akut bedroht.
Der Alexanderplatz in seiner historischen Rückführung zum Einkaufsort Berlin’s wird in einem aufwendigen städtebaulichen Wettbewerb verplant, realisiert seine Bebauung aber genau an dem Ort, der mit dem Alex nichts zu tun hat: der „Banane“.
Mit einem Schlenker um den traditionsreichen Alexanderplatz via Grunerstraße, Karl-Liebknecht-Straße und Karl-Liebknecht-Brücke zieht die Fuckparade mit Blick auf die Ruinen des Palasts der Republik zum geplanten Endpunkt, dem Schloßplatz.
Der Palast der Republik ist in den letzten zwei Jahren auch als Veranstaltungsort verschiedenster kulturell aktiver Gruppierungen unter dem Namen „Volkspalast“ bekannt geworden. Zuvor war er in der DDR als politisches und kulturelles Volkshaus sozialdemokratischer Tradition geplant und genutzt worden
Man könnte ihn auch den größten Skandal der aktuellen Berliner Stadtgeschichte nennen. Die widerspenstige Metallkonstruktion des Palastes der Republik steht symbolisch für unseren Widerstand gegen die egomanische Investorenpolitik des Bausenats.
Wiederum viel Geld, viel Privatisierung, um ein Symbol zu benutzen, das auf keinen Fall in die Zukunft führt: ein Schloß, zudem nicht einmal historisch korrekt geplant. Nein, Berlin, als Hauptstadt Deutschlands benötigt einfach ein Schloß.
Nach der mehr als 170 Millionen Euro teuren Asbestsanierung zwischen 1998 und 2003 und der kulturellen Zwischennutzung 2003-2005 wurde der Palast der Republik schließlich Anfang diesen Jahres gegen den massiven Protest verschiedener Bürgerinitiativen und Parteien ohne finanziell fundiertes Ersatzkonzept abgerissen. „Brache statt Kultur“ scheint hier das Motto zu sein. Bereits im Jahre 2002 hat die Fuckparade mit einer Party nebst Pressemitteilung auf den drohenden Abriß hingewiesen.