
14 july 2001 @ berlin.de 5 jahre hateparade
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Frankfurt am Main, den 04.07.2001 Aktenzeichen OVG 1 SN 53.01 In der Verwaltungsstreitsache
gegen
wird beantragt, den Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Juni 2001, Az. VG 1 A 166.01
und im Falle der Zulassung der Beschwerde, die Beschwerde als unbegründet
Begründung:Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der angefochtenen Entscheidung gemäß §§ 146 Abs. 4 i.V.m. 124 Abs. 1 VwGO. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, es läge eine fehlerhafte Bewertung bzw. Gewichtung hinsichtlich des vom VG ermittelten Kriteriums zur Beurteilung des Vorliegens einer gemeinsamen Meinungsäußerung vor und führt dazu aus, daß die Verteilung von 20.000 "kläglichen" Flyern einen "völlig untergeordneten Nebenakt" darstelle, der dem Erscheinungsbild einer Demonstration nicht genüge. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Kammer ist der Ansicht, das Vorliegen einer gemeinsamen Meinungskundgabe solle am äußeren Erscheinungsbild aus Sicht eines unbefangenen Beobachters zu ermitteln sein. Die Kammer hat einzelne Elemente der Fuckparade/ Hateparade (Abspielen von Musik mit eingesampelten Textpassagen und Sprechgesängen, MC Raps, Fortbewegung durch bestimmte Stadtviertel) zunächst isoliert betrachtet und entgegen der hier vertretenen Auffassung den einzelnen Elementen an sich bis auf die Flyerverteilung keine Erkennbarkeit im oben genannten Sinne als Meinungskundgabe zugesprochen. Das äußere Erscheinungsbild als Versammlung wurde aber durch die Kammer nicht isoliert an der Flyerverteilung ermittelt, sondern vielmehr durch eine Gesamtbetrachtung. Die Erkennbarkeit der Elemente der Fuckparade/ Hateparade als Meinungsäußerung wird durch die Flyer, in deren Verteilung auch nach Ansicht des Beschwerdeführers Meinungskundgabe zu sehen ist, vermittelt, da sie einen direkten Bezug zu den weiteren Elementen haben und nicht beliebig austauschbar sind. Zwar hat die Kammer im Beschluß AZ VG 1A 195.01 bezüglich der Versammlungseigenschaft der Love Parade eine aus Sicht des Antragsgegners zutreffende Gewichtung hinsichtlich des vorgesehenen Redebeitrages vorgenommen, diese erfolgte jedoch auch im Gesamtzusammenhang des Erscheinungsbildes der Love Parade und nicht isoliert: Der Unterschied zwischen der Bewertung der Fuckparade/ Hateparade und der Love Parade durch die Kammer ist darin zu sehen, daß die Kammer der Ansicht ist, daß die Rede auf der Love Parade das Gepräge als reine Feier in ihrer Gesamtbetrachtung nicht zu ändern vermag, es aber bei der Fuckparade/ Hateparade durch die Verteilung der Flyer in der Gesamtbetrachtung zu der äußeren Erkennbarkeit als Meinungskundgabe in der gesamten Durchführung kommt. Fehlerhaft ist die Ansicht des Beschwerdeführers, eine "Wesensprägung" dadurch ermitteln zu können, "ob man beim Wegfall der einen oder anderen Komponente noch von einer identischen Veranstaltung" ausgehen kann. Es wird davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer hierbei eine Unterscheidung hinsichtlich Mittel der Meinungskundgabe und der Meinungskundgabe an sich vornehmen will. (Was an sich kaum sinnvoll durchführbar ist und auch gerade bei der Fuckparade/ Hateparade daran scheitert, daß nach der von dieser Seite vertretenen Ansicht die Musik und die Aktionen der Fuckparade/ Hateparade Inhalt und Mittel der Meinungsäußerung sind.) So kommt der Beschwerdeführer zu dem Ergebnis, daß die Fuckparade/ Hateparade auch ohne Flyerverteilung vorstellbar wäre, sich aber kein Teilnehmer finden würde, "ginge es lediglich darum, den Inhalt der Zettel kundzutun". Eine derartige vorgenommenen Trennung zwischen Mittel der Meinungsäußerung und Meinungsäußerung an sich ist nicht durchführbar. Würde auf eine solche Trennung im Rahmen einer Gewichtung abzustellen sein, so widerspräche das der Mittelfreiheit, die auch der Beschwerdeführer ausdrücklich anerkennt. Auch ein Schweigemarsch würde eine "identische Veranstaltung" darstellen, würde die Thematik des Schweigemarsches ausgeblendet. Der Beschwerdeführer scheint daher mit dem Ergebnis der Ermittlung eines Nebenaktes eher die Ernsthaftigkeit der Meinungsäußerung in Frage stellen zu wollen. Hierbei wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Teilnehmer der Fuckparade/ Hateparade die Meinungskundgabe auch allein durch Flyerverteilung kundgeben könnten und es auch würden, es würde aber keinen Außenstehenden interessieren. Die realen Wirkungschanchen des Einwirkens auf die Öffentlichkeit, mit denen die Mittelfreiheit vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 69,S. 315 ff., S.347) argumentativ unterstrichen wurde, würden nicht gegeben sein. Die Wirkung der Meinungskundgabe ohne die Verstärkung durch Addition von Elementen fiele fort. Eine fehlerhafte Bewertung der Kammer innerhalb der Argumentation ist nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Kammer ist jedoch nicht allein in der Flyerverteilung das verbindende Element zur Meinungskundgabe der gesamten Durchführung der Fuckparade/ Hateparade zu sehen, sondern die Meinungskundgabe erschließt sich auch ohne Flyerverteilung einem Beobachter. Die Kammer des Verwaltungsgerichts hat zu hohe Anforderungen an die von ihr geforderte Erkennbarkeit der meinungsbildendenden Elemente der Versammlung gestellt und eine unscharfe Abgrenzung gezogen, wenn sie auf einen unbefangenen Beobachter abstellt, was am richtigen Ergebnis der Entscheidung jedoch nichts ändert. Welcher Horizont bei einem Betrachter vorauszusetzen ist, ist fraglich, wobei der Begriff des "unbefangenen Beobachters" ungenau erscheint. Unbefangenheit bedeutet mangelnde Voreingenommenheit , bzw. Neutralität. Auf welchem Wissenshorizont abgestellt wird, ist damit nicht erläutert. Das OVG hat im Beschluß zur "Weihnachtsparade" (NJW 2001, S.1740 f., S.1740) davon abgesehen, auf eine bestimmte Qualität eines Beobachters abzustellen, da hier die kommerzielle Prägung der Veranstaltung allgemein ersichtlich überwogen hat. Da jedoch bei der Fuckparade/ Hateparade keine irgendwie geartete Kommerzialität vorliegt, müßte der Horizont des Beobachters zu ermitteln sein. Die Meinungsbildung der Fuckparade/ Hateparade bezieht sich auf Themen in nicht privaten Teilangelegenheiten der öffentlichen Fragen. Die Fragen von Subkultur und gerade der Technomusik-Subkultur sind ein Randbereich von Kultur und Politik, die dem in kulturellen und politischen Subkulturfragen nicht uninteressierten Bürger nicht fremd sind. (Es wird hierzu auf die zahlreichen vorgelegten Presseartikel in Bezug auf die Fuckparade/ Hateparade verwiesen und die sich allgemein mit diesem Thema auseinandersetzenden Artikel, die über Links von der Internetseite www.fuckparade.de einsehbar sind.) Es müßte daher hinsichtlich der Qualität eines Beobachters, selbst wenn von diesem Unbefangenheit in Form von Neutralität gefordert werden soll, von einem normalen, in Staatsdingen nicht uninteressierten Bürger abgestellt werden, dessen Horizont sich nicht nur auf den politischen und kulturellen Mainstream beschränkt, sondern auch in die Randbereiche von Politik und Kultur erstreckt. Hinsichtlich zumindest dieses Beobachters läge eine Erkennbarkeit der Meinungskundgabe der Fuckparade/ Hateparade bereits ohne Verteilung der Flyer vor, es wird insoweit auf die Ausführungen im Eilantrag bezug genommen. Die Verteilung der Flyer während der Demonstration könnte, wenn man den Auffassungen der Kammer folgt, zu einer Erweiterung der Erkennbarkeit auch für den in Kultur- und Politikfragen sowie in Staatsdingen uninteressierten Beobachter führen, stellt somit eine "Übersetzungshilfe" für den uninteressierten Beobachter dar, auf diesen kann aber nicht abgestellt werden. Hierbei ist auch davon auszugehen, daß durch die dargestellte Durchführung der Hateparade/Fuckparade in Berlin, bereits jedem Berliner durch die ironische und kritische Meinungsäußerung: "Fuck (the Love) Parade / Love the Fuckparade" mit meinungstragendem Charakter aus sich heraus als Kritik an der kommerziellen Love Parade zu sehen ist. Die Rechtssache hat darüber hinaus auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 126 Abs.2 Nr.3 VwGO. Den Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Zulassungsantrags ist nicht zu entnehmen, daß im Einzelnen aufgezählten Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung haben: Die vom Beschwerdeführer dargelegten Argumentationen sind in der grundsätzlichen Problematik der Ausgestaltung der Prozeßordnung zu sehen, bzw. in der Tatsache, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des Versammlungsgesetzes keine Ausnahmen von der Zulassungsbeschwerde vorgesehen hat, nicht aber in der vorliegenden Rechtssache. Unzutreffend ist darüber hinaus die Ansicht des Beschwerdeführers, auf der Internetseite unter www.fuckparade.de bzw. www.bembelterror.de/fuckparade/, würde nur von Routen und der Folge der Fahrzeuge gesprochen werden. Vielmehr befinden sich auf den Seiten umfangreiche Informationen über die Ziele und den Anspruch der Fuckparade/ Hateparade, sowie weitere politische Informationen zu den angesprochenen Themen. Zutreffend ist, wie vom Beschwerdeführer ausgeführt, daß es sich bei den DJs und Livekünstlern auch um Staatsbürger aus etwa 17 Nationen, zumeist aus der EU handelt. Falls der Beschwerdeführer damit die Ernsthaftigkeit der Meinungskundgabe, wegen geographischen Bezuges anzuzweifeln gedenkt, wird diesem entgegengetreten. Die Themen der Fuckparade/ Hateparade sind nicht nur berlinspezifisch, sondern zudem weltweit im oben genannten Teilbezug gesellschaftlich diskutierte Fragen, deren Globalität gerade in einer der wichtigsten Hauptstädte der EU zu Gehör gebracht werden. So ist exemplarisch das repressive Vorgehen gegen Raveparties gerade auch in Großbritannien, Frankreich, und in anderen EU-Staaten ein wichtiger globaler Aspekt. Es wird hierzu auf das letzte Woche in Frankreich gescheiterte Gesetzesvorhaben "Amandement Antirave" von RPR Thierry Mariani und auf den in Großbritannien 1994 verabschiedeten "Criminal Justice Act" verwiesen, wonach Parties für illegal erklärt und unter Strafandrohung verboten werden. (Es wird auf die Internetinformationen unter http://free.underground-music.org und http://www.urban75.com/Action/Legal/cja.html verwiesen) Auch die Ausbreitung der Love Parade als Pseudo-Demonstration in andere Länder ist ein weiterer Aspekt der Globalisierung der Thematik. (Es wird z.B. auf die Internetinformationen zur Gegendemonstration zur Wiener Love Parade, "free.re.public", unter www.volkstanz.net verwiesen.) Ebenfalls nicht zutreffend ist die Auffassung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Entstehungsgeschichte der Fuckparade/ Hateparade und der hieraus gezogene Schluß über die Beabsichtigung der Meinungskundgabe der Fuckparade/ Hateparade: Es wird davon ausgegangen, daß zumindest in den ersten Jahren die Love Parade ein politisches Ziel verfolgt hat (Gegen die Schließung von Clubs, Drogenrazzien etc.). Selbst wenn von Veranstalterseite die Love Parade bereits in den ersten Jahren der Love Parade zur Gewinnerwirtschaftung dienen sollte, so ist dieses nicht den Teilnehmern zu unterstellen. Eine "Abspaltung" des politischen Teils der Teilnehmer erfolgte, weil diese keinen Zusammenhang mit ihren Forderungen mehr sahen. Der gezogene Umkehrschluß des Beschwerdeführers, wegen einer Abspaltung von der Love Parade könne bereits keine Meinungskundgabe bezweckt sein, schlägt fehl (es wird hinsichtlich der Entstehungsgeschichte auf den Zeitungsartikel in der FAZ vom 10.04.2001, sowie den Artikel in "Das Parlament" Nr. 22/23 vom 25.05.2001 verwiesen). Bock |